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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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auf das Mobiltelefon, das neben dem Schlüsselbund auf dem Boden vor der Tür lag. Er schnappte sich beides und rannte durch den Gang nach oben.
    Auf dem Flur im Erdgeschoss angekommen, klappte er das Handy auf und rief das Menü für getätigte Anrufe auf. Sie hatte die Nummer des Polizeinotrufs gewählt. Ihm blieben also maximal zehn Minuten, wahrscheinlich weniger. Die Ironie der Situation war schwer zu übersehen. Damals hatte er die Polizisten verzweifelt herbeigesehnt. Und heute, dreizehn Jahre später, waren sie diejenigen, gegen die er sich wehren musste. Und wieder einmal war er dabei auf sich allein gestellt. Es wiederholte sich alles, es begann erneut. Nur dass die Verhältnisse sich umgekehrt hatten. Er nahm seine Jeansjacke von der Garderobe und verstaute das Handy darin.
    Dann ist es jetzt also offiziell, dachte er, während er die Haustür betrachtete, die sich plötzlich immer weiter zu entfernen schien, bis der Flur einem langen Tunnel glich, dessen Ausgang unerreichbar war. Ich bin auf der Flucht! Angst schnürte ihm die Kehle zu, ließ seinen Magen steinhart werden. Der Ringkampf unten im Keller hatte ihm eine Menge abverlangt, doch der, der nun vor ihm lag, würde alles in den Schatten stellen. Es erschien ihm nahezu unmöglich, dass er als Sieger daraus hervorgehen würde.
    Mit zitternden Händen öffnete er die Tür und trat ins Freie.
    Der Sturm erfasste ihn augenblicklich, peitschte ihm Regentropfen wie Kieselsteine ins Gesicht und nahm ihm den Atem. Die schwarzen Wolken über ihm schienen sich auf einen Schlag von ihrer gesamten Wasserlast zu befreien. Sie färbten das Tageslicht schmutzig grau, so dass es jegliche Farbe verschluckte. Fast hoffnungslos stemmten die Wipfel der Bäume sich dem Sturm entgegen und gaben schließlich nach, als wollten sie sich seiner Macht beugen. Genau wie seine eigene Welt war nun wohl auch die Welt hier draußen dem Untergang geweiht.
    Er stemmte sich gegen den Wind und, was noch schwieriger war, gegen die aufkeimende Panik in ihm, die jeden seiner Schritte lähmte. Doch die Vorstellung, wieder in einer kalten Zelle eingesperrt zu werden, noch einmal diesen Zustand absoluter Hoffnungslosigkeit zu ertragen, besiegte seine Angst. Angesichts der wenigen Zeit, die ihm blieb, war Zögern ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Wenn er auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, musste er schleunigst von hier weg.
    Das Auto!
    Es war die einzige Möglichkeit.
    Nervös fingerte er an dem Schlüsselbund herum, den er noch immer in der Hand hielt, bis er den Zündschlüssel fand. Als er die Fernbedienung daran betätigte, leuchteten die Blinklichter des schwarzen Volvo kurz auf, und ein elektronisches Piepen ertönte.
    Hastig riss er die Fahrertür auf. Obwohl der Regen wie ein Steinschlag auf das Dach trommelte, fühlte Tom sich augenblicklich sicherer, als er im Wagen saß. Der Innenraum war vom Duft des blumigen Parfüms erfüllt, das Dr. Westphal trug. Dieses süßliche, durch und durch weibliche Aroma würde für ihn für alle Zeit mit Verrat verbunden sein. Er würde einiges wiedergutzumachen haben, sollte er das hier heil überstehen.
    Mechanisch griff er nach dem Gurt und schnallte sich an. Dann glitt sein Blick verzagt über das Armaturenbrett.
    Was jetzt?
    Er konnte ebenso wenig ein Auto steuern, wie er in der Lage war, einen Hasen aus einem Hut zu zaubern.
    Komm schon, du hast darüber geschrieben. Und du hast Karin mindestens hundertmal dabei zugesehen. Das kann doch nicht so schwer sein!
    Unsicher suchten seine Augen das Zündschloss. Er brauchte drei Versuche, bis der Schlüssel schließlich einrastete. Das Zittern wurde schlimmer, und die Angst gewann immer mehr die Kontrolle über ihn.
    Seine Medikamente!
    Kalte Panik stieg sein Rückgrat empor. Er musste zurück, musste die Tabletten holen.
    Keine Zeit mehr. Er hatte keine Zeit mehr!
    »Verdammt!«, schrie er und trommelte wie besessen auf das Lenkrad, bis der Druck in seinem Kopf nachzulassen begann. Gut so, dachte er sich. Sei lieber wütend, Wut ist stärker als Angst!
    Abermals atmete er tief durch, um seinen hämmernden Puls zu beruhigen. Dann wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn, blickte entschlossen die Einfahrt hinunter, die wie ein finsterer Weg ins Ungewisse aussah, und drehte den Schlüssel …
    Und es war, als würde er einen Schalter in seinem Gehirn umlegen, denn urplötzlich war alles wieder schwarz.
    Seine Wahrnehmung kehrte so schlagartig zurück, wie sie

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