Stilettos für Anfänger
betrachtete sie noch einmal nachdenklich und zog sie dann für einen Moment in seine Arme. “Ich muss gehen. Guy müsste eigentlich die Nacht durchschlafen, aber falls es Probleme gibt, kannst du mich zu Hause anrufen. Dr. Morton wird zwar den Rest der Nacht hier sein, und er ist ein guter Arzt, aber ich würde dennoch gern erfahren …”
“Ich verstehe schon. Ich liebe ihn auch.” Annie lächelte ihren Bruder an und kämpfte mit den Tränen. “Ich verspreche dir, dich anzurufen, falls es nötig ist.”
Daniel küsste ihre Stirn. “Versuch zu schlafen, Annie. Guy benötigt in den nächsten Tagen sehr viel Pflege, und dazu brauchst du deine Kraft.”
Nachdem Daniel gegangen war, um den Sessel und das Kissen bringen zu lassen, schlüpfte Annie in Guys Zimmer. An seinem Bett nahm sie seine Hand in ihre. Sie beobachtete, wie seine Brust sich unter seinen ruhigen Atemzügen hob und senkte. Aufmerksam inspizierte sie die Prellung an seiner Stirn, den hässlichen Kratzer an seiner Schulter und merkte gar nicht, dass sie weinte, bis eine Träne auf ihre Hände tropfte.
Sie würde tun, was das Beste für ihn war. Und wenn das bedeutete, ihn zu einer einsamen Hütte zu verschleppen, wo er gezwungen sein würde, sich ihre vernünftigen Argumente anzuhören, dann musste sie es eben tun.
Sie würde tun, was nötig war, um Guy daran zu hindern, die falsche Frau zu heiraten. Und falls er sie während ihres Aufenthalts in der Hütte davon überzeugte, dass er sie wirklich nur wie eine Schwester liebte und Melissa die richtige Frau für ihn war, würde sie ihn widerspruchslos aufgeben. Sie wollte, dass er glücklich war.
Aber zuerst würde sie ihm klarmachen, wie sehr sie ihn liebte, und wie wundervoll alles zwischen ihnen sein könnte, wenn er ihr nur eine Chance gäbe. Und dann konnte er sich entscheiden.
Der Sessel wurde gebracht und neben Guys Bett gestellt. Dankbar machte Annie es sich darin bequem, aber sie schlief nicht, sondern blieb die ganze Nacht wach und plante Guys Verführung. Sie würde keine Mühe scheuen. Guy war jede Mühe wert.
5. KAPITEL
“E r ist zwischendurch immer mal wieder aufgewacht”, berichtete Annie Daniel am nächsten Morgen. “Die Hälfte der Zeit wollte er singen, die andere stöhnte er. Die Schwester hat ihm zweimal ein Schmerzmittel gegeben, obwohl er nicht danach gefragt hat.”
“Bestimmt nicht. Du weißt, wie stur er ist.”
Guy stur zu nennen, war untertrieben. Die ganze Nacht hindurch war er geradezu unmöglich gewesen. Er hatte Schmerzen gehabt, war aber zu halsstarrig gewesen, es zuzugeben. “Er sieht noch immer sehr erschöpft aus.”
“Mach dir keine Sorgen, Annie. Ich glaube, seine Erschöpfung hat mehr mit dem zu tun, was ihn vor dem Unfall beschäftigt hat, als mit dem Unfall selbst. Ich vermute, dass ihn ziemlich widersprüchliche Gefühle quälen, was seine Heiratspläne angeht.”
“Du glaubst also nicht, dass er wirklich heiraten will?”
Daniel zog eine Braue hoch. “Heiraten will er auf jeden Fall, glaube ich. Er mag Melissa. Sie ist eine sehr attraktive Frau.”
Lacy stieß ihn in die Rippen. “Du bewegst dich auf dünnem Eis, Daniel.”
“Lacy! Wann bist du hierhergekommen?”
“Ich habe kurz nach dir das Haus verlassen.”
“Ich dachte, du müsstest heute Morgen im Sender sein.”
“Erst in zwei Stunden.” Sie wandte sich zu Annie. “Ich hoffe, es stört dich nicht, aber da ich deine Schlüssel hatte, bin ich bei dir vorbeigefahren und habe ein paar Sachen für dich eingepackt. So kannst du hier bei Guy bleiben, bis es Zeit wird, loszufahren.”
Annie hatte gar nicht daran gedacht, eine Tasche zu packen. “Danke. Wie bin ich bisher nur ausgekommen ohne dich?”
Daniel lächelte. “Das habe ich mich auch schon oft gefragt.”
Lacy grinste beide an. “Es ist noch zu früh für Dramen, also lasst es gut sein.” Sie lehnte sich an ihren Mann, der seinen Arm um ihre Schultern legte. “Annie, ich habe die Tasche schon in deinen Wagen gestellt. Und mach dir keine Sorgen, ich habe alles eingepackt, was du benötigst.”
“Oh … danke.” Annie wunderte sich über das spitzbübische Lächeln ihrer Freundin, aber das konnte natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass ihr Mann ihre Hüfte streichelte.
Annie hatte eine Zahnbürste von den Krankenschwestern bekommen und sich in einem privaten Bad gewaschen. Ihre Kleider waren zerknittert, aber das war ihr egal. Ihr Haar – sie hatte fast gestöhnt, als sie gesehen hatte, wie verheddert
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