Still und starr ruht der Tod
Susanne.
»Da war was ?«, fuhr Artur seine Frau an.
Sieh an, dachte Katinka. Die Mädels haben Probleme, ihren Männern von den Kadavern zu erzählen. Warum wohl?
»Eine Ratte«, half sie aus. »Ein Nager. Wie ein Hamster, nur schlechter beleumundet.«
»Tot. Sie war tot. Sah total eklig aus.« Susanne schüttelte sich bei der Erinnerung daran.
»Davon hast du mir nichts erzählt!« Artur behielt sich unter Kontrolle, aber Katinka entdeckte die pulsierende Ader an seiner Schläfe. Als er ihr den Cappuccino hinstellte, schwappte der Kaffee über. Sie kramte ein Tempo aus ihrem Rucksack.
»Wir hatten heute Adventsfeier im Seniorenheim«, murmelte Susanne tonlos. »Ich war ein paar Stunden dort. Als ich heimkam, warst du noch nicht vom Skilaufen zurück. Ich legte mich hin. Mit einem Buch. Ich wollte mir einen gemütlichen Tag machen. Einmal hatte ich das Gefühl, irgendjemand ist auf unserem Treppenabsatz. Das kommt öfter vor. Jemand, der sich nicht auskennt. Irgendein Paketdienst, der nach einem Namen an der Klingel sucht.« Sie atmete tief durch. »Ich hatte so ein komisches Gefühl. Ich ging raus, nachschauen. Und trat fast auf die Ratte.«
Artur legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter.
»Danach haben Sie einen Anruf bekommen. Kann das sein?«
Susanne starrte Katinka mit offenem Mund an. »Ja!«
Sie hält die Anspannung nicht mehr lang aus, dachte Katinka. Ihr Körper muss dem Stress irgendwann nachgeben.
Arturs Hand lag schwer auf Susannes Schulter. Sie schüttelte sie ab und rief: »Ein ganz komischer Anruf. ›Hört auf, euch einzumischen.‹ Eine sonderbare Stimme. So kalt. Ich habe sie nicht erkannt, und es leuchtete keine Nummer auf.«
»Sie waren skilaufen?«, sagte Katinka mit Blick auf Artur. »Allein?«
»Mit einem Freund. Am Ochsenkopf.«
Katinka trank einen Schluck Cappuccino, erhob sich und sagte:
»Sie wissen, wo Sie mich finden.«
»Ivo hat öfter …«, begann Susanne. Ein eiskalter Blick ihres Mannes brachte sie zum Schweigen.
»Ja? Ivo hat was?«, fragte Katinka.
»Ihr habt doch ziemlich oft …« Susannes Blick irrte von Artur zu Katinka und zurück. »Du und Horst und Ivo …«
»Ja«, nickte Artur. »Wir Männer haben öfter gelästert über den Literatur- und Fresszirkel. Ich gebe es zu. Wir hatten daran eben nicht so viel Spaß wie ihr Frauen. Aber dennoch – wir hatten doch immer eine schöne Zeit, alle miteinander, oder?«
16
»Die haben wir gehörig unter Stress gesetzt«, freute sich Dante. Sie saßen im Mahr’s, jeder mit einem Bier vor sich, und berichteten von ihren Erlebnissen.
Katinka mochte die Brauereiwirtschaft, vor allem die schummrige, niedrige Gaststube mit dem Kachelofen, in der sich seit gefühlten 100 Jahren nicht viel verändert hatte. Die Brauerei lag gleich hinter der Kirche Maria Hilf im Stadtteil Wunderburg, wo Hardo früher gewohnt hatte. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Male sie hier mit einem Biersiphon ein Frischgezapftes zu Hardo in die Wohnung getragen hatte. Diese liebgewonnene und sehr Bambergerische Tradition war nun Vergangenheit.
»Also, anders als die liebe Susanne hat Walli ihrem Horst von der Ratte erzählt, sobald er daheim aufschlug. Sowohl Walli als auch Horst waren total aufgebracht. ›So eine Unverschämtheit, so eine Unverfrorenheit, eine tote Ratte auf den Fußabtreter zu legen‹!« Dante schnitt Grimassen. »Ziemlich frustrierte Kuh, diese Walli. Und Inspiration wird sie bei Horst Broicher nicht finden, soviel steht fest. Der Knabe kam pünktlich zur Tagesschau von seiner Mutter nach Hause.«
Katinka grinste. »Was hatten sie zu Ivo zu sagen?«
»Sie hatten keine Ahnung. Nicht die geringste. Dass er tot ist, hat beide erschüttert.«
»Die Polizei hat Ivos Arbeitsstelle benachrichtigt. Eine Kollegin musste ihn identifizieren.«
»Ivo scheint keine Verwandten zu haben«, überlegte Dante und nahm einen großen Schluck Bier. »Fährt sich übrigens gar nicht so schlecht, der Golf von Ihrem Liebsten.«
»Bleibt die Frage, warum die Literaten ihrer Rita zumindest halbherzig übers Festnetz hinterhertelefonieren, aber keiner an Ivo denkt.«
»Na, wenn er nicht kommen wollte …«
»Allerbester Herr Wischnewski, wenn ich Gäste erwarte, und zwei kommen nicht, suche ich doch nicht nur den einen. Vor allem, wenn es um eine Clique geht, die sich meistens vollzählig trifft. Ich würde bei allen anklingeln, um herauszufinden, was los ist!« Katinka zückte ihr Handy. »Ich rufe jetzt die
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