Still und starr ruht der Tod
einen Kaffee?«
»Sie können Gedanken lesen«, lächelte Katinka und nickte. Der Typ war cleverer, als er nach außen zeigte. Allerdings hatte er ein bisschen viel getrunken. Höchstwahrscheinlich war er nicht so konzentriert wie beim letzten Mal. So leicht würde Dante es bei Walli und Horst nicht haben.
»Ivo ist tot.« Sie ließ den Satz mal eben so fallen.
Verdattert sahen die beiden Katinka an. Sie erwiderte ihre Blicke. Artur verschanzte sich nach dem ersten heftigen Schrecken sofort wieder hinter seiner Maske aus Selbstsicherheit. Seine Frau hielt es eher mit Unbedarftheit.
»Ivo ist … was?«, fragte sie gedehnt.
»Er kam mit seinem Wagen von der Straße ab. Irgendwo in der Nähe von Hof. Es hat wie verrückt geschneit, und er ist so tief in einer Schneewehe gelandet, dass man ihn erst nach anderthalb Tagen fand.«
»Aber … das … woher …?«
Sie wussten es nicht, dachte Katinka. So eine Verblüffung kann man nicht spielen. Nicht mit einer halben Flasche Rotwein im Blut. Mindestens. Sie sah den Korb mit dem Altglas. Voll mit Weinflaschen. Immer dieselbe Sorte.
»Sie sind mir ja welche«, neckte Katinka schließlich. »Zu Ihrem Treffen kommen zwei Personen nicht, obwohl sie eigentlich immer dabei sind. Aber Sie interessieren sich nicht besonders dafür. Die Typen sind halt nicht da. Wird schon alles seine Ordnung haben. Selbst wenn draußen die Arktis tobt.«
»Wobei …«, begann Susanne.
Artur legte blitzschnell eine Hand auf ihren Ellenbogen, und sie verstummte. Katinka machte der Anblick aggressiv. Sie wünschte der Frau, dass sie schnell lernte.
»Hören Sie«, er räusperte sich und sah angelegentlich aus dem Fenster, als stünde dort draußen unter der Straßenlaterne ein Teleprompter, der ihm den Text lieferte. Stattdessen fiel Schnee vom Himmel, in dicken, taumelnden Flocken.
»Ja?«, machte Katinka.
»Rita hatte zugesagt, zum Treffen zu kommen. Sie wurde erwartet, deshalb haben wir herumtelefoniert, um herauszufinden, wo sie steckte. Aber bei Ivo … Er hatte angedeutet, dass er eigentlich keine Zeit hatte. Er hatte wohl Stress, im Amt und so weiter …«
»Amt?«
»Er ist – war – beim Sozialamt beschäftigt.«
»Ivo sagte also ausdrücklich, er würde nicht kommen?«
Artur und Susanne blickten einander an.
»So hatte ich es verstanden«, flüsterte Susanne.
»Standen Sie einander nahe?«, fragte Katinka. Sie hoffte, dass der Schrecken das Ehepaar gesprächig machte, bevor sie sich fragten, warum sie eigentlich all diese Fragen gestellt bekamen. »Sie – und Ivo?«
»Nein, wir standen einander nicht nahe«, Artur schüttelte den Kopf. »Ach, Sie wollten ja einen Kaffee. Entschuldigung. Ich bin ganz durcheinander.« Er machte sich an einer mit vielen Raffinessen ausgestatteten Maschine zu schaffen.
»Wir kamen über Irmi und Günther zum Literatur- und Fresszirkel. Also erstmal zu Ritas Kurs. Irmi und Günther kommen eigentlich hier aus der Gegend. Irmi und ich kennen uns vom Gymnasium«, erklärte Susanne. Ihre Stimme klang blechern. Als spräche ein Automat. »Als Günther den Job bei Brose bekam, zogen sie nach Coburg.«
»Wie stieß Ivo dazu?«
»Er ist ein … Er …« Susanne warf ihrem Mann einen hilflosen Blick zu. »Artur, ich glaube das nicht!«
»Er arbeitete beim Sozialamt. Er mochte Literatur. Er aß gern. Richtig?«, fragte Katinka.
Beide nickten.
»Und er hatte für den Abend eigentlich abgesagt?«
»Ja«, hauchte Susanne.
»Das stinkt wie Sauermilch!«, drehte Katinka auf. »Die Leiterin des Kurses, Rita, geht verlustig, Sie machen sich Sorgen, rufen sogar die Polizei an. Fragen nach. Aber ein Zweiter, der nicht kommt, um den kümmern Sie sich gar nicht?«
»Wir sind davon ausgegangen, dass er gar nicht kommen wollte.«
»Warum haben Sie ihn nicht angerufen, um ihn zu fragen, wo Rita steckt? Vielleicht hätte er es gewusst!«
Susanne sah ihren Mann an. Der werkelte an der Kaffeemaschine. Seine Wangenmuskeln traten überdeutlich hervor.
»Die Ratte heute Morgen …« Katinka blickte Susanne ins Gesicht. Die Worte waren ihrem Mund entschlüpft, bevor ihr Kopf sie festhalten konnte.
»Was?« Artur drehte sich um. Seine Augen funkelten zornig. Seine Frau war totenblass geworden.
Mitten ins Schwarze, dachte Katinka.
Mittlerweile trällerte die Traviata das weltberühmte Trinklied. Die temperamentvolle Melodie ließ die Atmosphäre in der Küche noch trostloser erscheinen.
»Da war eine Ratte auf unserem Fußabstreifer«, flüsterte
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