Still und starr ruht der Tod
wunderbar deutlich vor ihrem inneren Auge.
»Frau Mathieu«, fing sie an, während Simone sie mit aufgerissenen Augen betrachtete. »Ich würde Sie darum bitten, mir etwas Zeit zu geben. Ich melde mich später bei Ihnen. Heute Nacht oder morgen. In Ordnung?«
»Also …«
»Alles, was ich von Ihnen verlange, ist, keinen Kontakt zu einem der Mitglieder aus dem Literaturzirkel aufzunehmen. Kann ich mich darauf verlassen?«
Simone guckte verwirrt drein. »Okay. Wenn es weiter nichts ist …«
»Nein.« Katinka nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher. »Sonst nichts.« Sie wählte Dantes Nummer. Inständig hoffte sie, dass er sein deutsches Handy behalten hatte. Wo er momentan wohnte, wusste sie nicht.
»Frau Palfy, wie schön, Sie haben Sehnsucht nach mir!«, gluckste Dante.
»Zweifelsohne kommt einst der Tag, an dem Sie mir einmal aus dem Herzen sprechen werden. Heute bin ich auf Ihre physische Kooperation angewiesen.«
»Nämlich?«
»Könnten Sie in einer halben Stunde in der Hasengasse sein?«
»In Ihrem Büröchen hinter dem öffentlichen Pissoir?«, neckte Dante. Er spielte auf die Tatsache an, dass aufgrund einer Baustelle an einem Gebäude gleich bei Katinka um die Ecke eine Menge Holzverschalungen und Abstützbalken aufgebaut worden waren. Die dazugehörigen Winkel dienten nicht nur Vierbeinern als Toilette.
»Genau dort.«
»Mit Vergnügen!«, flötete Dante. »Ich bin immer gern zu Diensten! Sogar an Sonn- und Feiertagen.«
Das stimmt wahrscheinlich, überlegte Katinka, als sie auflegte. Dantes Misere besteht einfach in seinem Drang, geliebt zu werden, sich die Anerkennung anderer durch nie enden wollende Hilfsbereitschaft zu verdienen.
15
»Also: Alles klar?«, erkundigte Katinka sich eine Stunde später. Sie saß in ihrer Detektei hinter dem Schreibtisch, Dante davor. Beide hatten die Stiefel ausgezogen und die Füße auf den Heizkörper gelegt.
»Jep. Ich fahre zu Walli und tische ihr eine Geschichte auf, wie nebenbei erwähne ich Ivos Unfall …«
»Wir müssen unbedingt rauskriegen, ob Walli oder Horst wissen, dass Ivo tot ist. Wie sie auf die Nachricht reagieren!« Katinka sah Dante eindringlich an. »Ich nehme die Schweigaus in die Mangel.«
»Ich sehe, was sich machen lässt. Und nachher vergleichen wir!« Aufgeregt hüpfte Dante vom Sessel. »Ich habe nur ein Problem: Ich bin autolos.«
»Das habe ich geklärt: Sie kriegen Hardos Golf.«
»Hoppala! Ob der Herr Hauptkommissar sich mit dem Gedanken anfreunden kann …«
»Es bleibt ihm nichts anderes übrig.« Katinka sah auf die Uhr. »Vier Uhr vorbei. Machen wir uns auf die Socken.«
Die Schweigaus schienen hauptsächlich von Käse und Rotwein zu leben, denn genau das stand wieder auf dem Tisch, als Katinka bei ihnen hereinschneite. Diesmal allerdings brannten zwei rote Kerzen auf einem frisch und unversehrt aussehenden Adventskranz. Von einer Duftlampe keine Spur.
»Noch mehr Fragen?«, staunte Artur Schweigau. Sein Dreitagebart hatte sich um ein paar Millimeter verlängert und wirkte jetzt struppig. Das Freibeuter-Image schien ein wenig angekratzt. Der giftgrüne Pulli, den er trug, ließ ihn blass aussehen.
Katinka hatte ihre Strategie mit Dante abgesprochen. Sie wollten herausfinden, ob es weitere Absprachen zwischen Walli und Horst aus Hof und Susanne und Artur gab. Ob Walli bei dem Paar aus Bayreuth angerufen hatte, um von der Ratte zu berichten. Ob Ivos Tod den beiden bekannt war.
»Wussten Sie, dass Irmi und Günther im Urlaub sind?«, flötete Katinka und schüttelte den Kopf, als Artur fragend die Weinflasche hochhielt.
»Urlaub?«
»Sie sind nicht gekommen zum letzten Treffen«, sinnierte Susanne.
Artur machte sich an einem CD-Spieler zu schaffen. Die Ouvertüre von La Traviata erklang. Die einzige Opernouvertüre, die Katinka sofort identifizieren konnte.
»Dann waren aber wirklich nur wenige bei dem Treffen. Rita fehlte …«
»Ja. Und Ivo«, sagte Susanne eifrig.
La Traviata. Die vom Weg Abgekommene.
»Margot kam nicht, wegen des Wetters. Blieben Walli und Horst.«
»Na, ich beneide die Theissens. Um diese Jahreszeit Urlaub zu nehmen, ist die perfekte Idee.« Katinka lehnte sich zurück. Sie sehnte sich nach einem starken Kaffee.
»Genau, dann hat man mit dem ganzen Weihnachtsstress nichts zu tun!« Susanne nickte eifrig. Sie war ein wenig rot im Gesicht. Erhitzt vom Wein.
»Außerdem ist das Wetter in der Karibik um einiges erträglicher«, bestätigte Artur. »Möchten Sie
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