Still und starr ruht der Tod
Weder hier noch im Büro. Ich muss die ganze Zeit an Ivo denken!«
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
Die Schluchzer wurden heftiger. »Ich kann das nicht. Ich kann das nicht. Können Sie nicht kommen? Ich bezahle Sie. Keine Frage. Bitte. Kommen Sie.«
Die Fahrt nach Hof stellte sich als Desaster heraus. Katinka benötigte mehr als zwei Stunden. Ein LKW stand vor der Ausfahrt nach Bad Berneck im Schneematsch quer. Es blieb ausschließlich die linke Spur, und auf der stauten sich weitere LKWs und Busse. Katinka hätte am liebsten laut geschrien vor Wut. Im Stau herumzustehen, machte sie aggressiv. Sie suchte einen Musiksender im Radio, aber das Gedudel auf Antenne Bayern steigerte ihre schlechte Laune ins Unermessliche, und die anderen Kanäle brachten nichts, was ihrem Musikgeschmack entsprochen hätte. Blieben Los del Rio. Sie drückte auf ›Play‹.
Langsam kroch die Blechschlange an dem Hindernis vorbei. Dennoch staute sich auch danach der Verkehr, weil die LKWs und Busse an dem steilen Berg kaum Fahrt aufnahmen. Endlich konnte Katinka die nächste Ausfahrt nehmen und kurvte über Landstraßen weiter. Keine gute Idee, denn die waren kaum geräumt, dafür steil und rutschig. Was, wenn ich jetzt hier hängen bliebe, fragte sich Katinka. Wann würde man mich finden? Wann würde man überhaupt anfangen, mich zu suchen? Sie war mutterseelenallein unterwegs. Die Autofahrer zogen eine überfüllte, aber geräumte Autobahn den Risiken der einsamen Fichtelgebirgsstraßen vor.
Katinka hustete. Die Heizungsluft im Auto trocknete ihre Kehle zusätzlich aus. Sie rief Hardo an.
»Wo kurvst du herum?«, fragte er gestresst.
»Ich sehe den Ochsenkopf.« Der lange Mast auf dem Berg spießte die Schneewolken über sich auf. »Horst Broicher hat die Biege gemacht.« Sie schilderte Wallis Anruf. »Wenn du etwas für mich tun willst«, fuhr sie fort, »besorg mir einen Kontakt zu einem deiner Kollegen in Hof.«
»Wende dich an Motsch. Er hilft dir bestimmt weiter. Ich rufe ihn an.«
»Gut. Danke.«
»Katinka? Fahr vorsichtig.«
»Kein Zweifel. Schade, dass ich kein Snowboard dabei habe. Muss eine grandiose Abfahrt geben heute!«
»Lass den Mist! Wintersport ist für Heroen in einem abgesicherten Angestelltenverhältnis. Wie willst du mit einem gebrochenen Bein arbeiten?«
»Du meinst also, das Privileg, über eine Skipiste zu rasen, liegt bei dir? Als Beamter?«
Hardo brach in Gelächter aus. »Sieh zu, dass du die Sache in Hof klarkriegst, und komm wieder heim. Für heute Abend und Nacht haben sie heftige Schneestürme angesagt. Wahrscheinlich schließen sogar die Flughäfen.«
»Ach du Schande. Ich halte mich ran. Bis später!«
Sie legte auf. Als Hof endlich in Sicht kam, ließ sie erleichtert das Fenster herunter und sog tief die feuchte Luft ein. Der Himmel hing schwer über der Stadt. Alles war schneebedeckt. Kein Fetzchen Asphalt war von der Straße zu sehen. Bayerisch-Sibirien, dachte Katinka, während sie schleunigst das Fenster wieder schloss. So pflegten die Bewohner der Maingegend das fränkische Gebirge Richtung Vogtland zu nennen. Arme Hofer. Aber irgendwas Wahres ist dran.
Das GPS lotste sie in Wallis Straße. Sie parkte und sah an den Fenstern der Wohnanlage hoch, bevor sie ausstieg und bei Walli klingelte.
Heute war keine Rede davon, die Stiefel auszuziehen. Walli war völlig aufgelöst. Sie trug weite Wollhosen, einen dicken Troyer und einen Schal. Über die Arme hatte sie Stulpen gezogen, die ihr ein gutes Stück über die dünnen Spinnenfinger reichten.
»Er ist nicht zur Arbeit erschienen. Niemand hat ihn gesehen. Ich habe mit seinen Kollegen gesprochen. Habe den Eindruck, die finden das auch noch komisch. Als hätte sich sowieso jeder gefragt, was Horst an mir findet.« Sie sank aufs Sofa. Tränen rollten über ihr gerötetes Gesicht. Das Haar wirbelte in ausgefransten Strähnen um ihren Kopf. Immer wieder strich sie es weg. »Ich habe solche Angst. Erst Rita und Ivo. Jetzt Horst. Solche krummen Sachen passen überhaupt nicht zu ihm. Einfach zu verschwinden!« Ihr Atem ging schnell.
»Langsam!«, versuchte Katinka zu beruhigen. »Haben Sie nachgesehen, ob in der Zeit, nachdem Sie ins Bett gegangen sind, irgendwelche Anrufe reinkamen? Oder ob er jemanden angerufen hat?«
Walli lief zum Telefon, drückte ein paar Tasten. »Keine Anrufe. Außer meinem, als ich Sie angerufen habe.« Sie sank wieder aufs Sofa.
»Hat Horst die Texte gelesen? Die aus dem Online-Ordner?«
Walli
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