Still und starr ruht der Tod
Broicher sich aufhält. Allerdings ist heute soviel los, dass sein Handy nicht die oberste Priorität hat.«
Katinka trommelte mit den Fingern an die Fensterscheibe. Es wurde schon wieder dämmrig. Dicke, schwere Wolken ballten sich am Himmel. Ein Schwarm Krähen stob in Formation durch das Grau. »Gibt es eigentlich viele Vermisstenfälle zurzeit?«
»Ein paar Altfälle. Nichts Neues. Wenn es nicht um den Straßenverkehr geht, scheint das Leben im Augenblick auf Sparflamme zu laufen.«
»Zu den aktuellen Fällen rechnen Sie also nur Rita Weiß und Horst Broicher?«
»Exakt. Übrigens: In Ivo Leistners Tasche haben wir zwar seinen Ausweis gefunden, aber keinen Führerschein.«
»Seltsam. Obwohl sich manche Leute einen Spaß draus machen, nie irgendwelche Papiere mitzunehmen, wenn sie mit dem Auto unterwegs sind.«
Motsch zwirbelte seinen Schnauzer. »Sie haben recht, es muss nichts heißen. Kommen Sie mit in die Kantine. Sie sehen aus, als könnten Sie einen Erbseneintopf mit Wiener vertragen.«
»Das stinkt doch.«
»Der Erbseneintopf?«
»Überlegen Sie: drei Personen aus einem Freundeskreis. Sie waren am Abend des 12. Dezember hier in Hof verabredet. Einer ist tot, zwei verschwunden.«
»Unfalltote haben wir ein paar mehr im Augenblick als üblich.«
»Wie viele?«
»Vier im ganzen Dezember. Tragisch genug.«
»Einer davon ist Ivo Leistner. Verunfallt am 12. Dezember. Herr Motsch, ich bitte Sie!«
»Ja, das stinkt. Bloß: Ich kann nicht riechen, was dahintersteckt. Schimmel, verdorbener Kohl oder korsischer Käse«, lamentierte Motsch.
In der Kantine orderte er zwei Erbsensuppen. Katinka löffelte ihren Eintopf, während Motsch von bizarren Wintereinsätzen der Verkehrspolizei erzählte, von vereisten Schienenbussen und LKWs aus Weißrussland, die auf Reifen ohne Profil unterwegs waren. »Ich könnte ein Buch schreiben. Man denkt oft sehr selbstkritisch und tadelt sich für irgendetwas, was man nicht durchdacht hat und was sich im Nachhinein als Dummheit erweist. Ich sage Ihnen, wie viel Slapstick ich da draußen bislang erlebt habe – man möchte es nicht glauben.«
Katinka traf eine Entscheidung. Sie reichte Motsch die Ausdrucke von Ritas Psychogrammen aus dem Online-Ordner und setzte ihn kurz ins Bild. Mit verdutztem Gesichtsausdruck griff Motsch nach den Papieren.
»Mamma mia!«, sagte er schließlich, als er die Zettel zurückgab. »Wie tief muss man sinken, um solche Sachen über seine Freunde zu schreiben und sie ihnen auch noch zum Lesen zu geben.«
Das Klingeln seines Handys unterbrach seinen Redefluss. Er lauschte eine ganze Weile schweigend, kniff die Augen dabei zusammen, zwirbelte seinen Schnauzer. Schließlich sagte er: »Verstehe. Verstehe. Nein. Ich würde mitfahren. Bis gleich.«
Er legte sein Handy weg. »Ich bin froh, dass Sie was im Magen haben.«
»Was ist los?«
»Sie haben Broicher gefunden. Das Handy wurde nördlich der A 72 geortet. Eine Streife war gerade in der Nähe. Broicher liegt tot in seinem Wagen.«
»Was?« In Katinkas Kopf begann es zu hämmern.
»Womöglich erschlagen. Noch unklar. Die Kripo macht sich gerade in Person von Hauptkommissarin Petronella Kallweit auf die Socken. Wollen Sie mit?«
»Keine Frage!« Katinka schob ihren Stuhl zurück.
25
Katinka saß auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens. Motsch fuhr und führte dabei ein Dauergespräch auf seinem Handy. Ihr Schädel brummte. Der Schnee fiel so dicht, dass die Straße nur durch die rechts und links eingepflockten Messlatten auszumachen war. Es war stockdunkel. Gelb vor Neid schickte Katinka den Theissens Tausende heimtückische Viren und anderes Ungemach in die Karibik.
Der Wind fegte über die eisige Landschaft, auf 500 m über NN ungebremst durch Hügelflanken oder Bäume. Es gab nichts als den schwarzen Himmel und den Schnee. Die Ortsschilder waren kaum zu lesen. Motsch verließ sich auf das GPS. Sie fuhren Richtung Töpen, dann, in tiefer Wildnis aus Schnee und Eis, bogen sie links ab. Kurz darauf sahen sie vor sich, durch den dicht fallenden Schnee, zwei Wagen: einen Streifenwagen, dessen zuckendes Blaulicht bizarre Muster in den Schnee warf. Und einen Golf jenseits der Schneelatten, fast vollständig eingeschneit. Mit Todesverachtung zog sich Katinka die Kapuze ihres Anoraks über den Kopf und stieg aus.
Horst Broicher saß angeschnallt auf dem Fahrersitz seines Wagens. Das Auto hatte sich mit der Nase in eine Schneewehe gebohrt, gut drei, vier Meter jenseits der
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