Still und starr ruht der Tod
Innenhof parkte und durch den Schnee zur Haustür schlurfte. Hinter seinen Fenstern war jedenfalls alles dunkel. Lon, der indische Student, schippte gerade einen Weg vom Tor zur Haustür frei.
»Macht Spaß!«, lachte er.
»Echt?« Katinka war zu müde, um sich zu unterhalten. Ein heißes Bad war alles, wonach sie sich jetzt sehnte.
»Sind Sie krank?«
»Auf alle Fälle nicht ganz fit.«
Lon beeilte sich, die Haustür für sie aufzuschließen. »Haben wir jetzt Videokontrolle?«
»Haben wir.«
»Security«, grinste Lon. »Das Licht ist leider zu dunkel. Finde ich. Get well soon!«
Sie nickte dem jungen Mann zu, musste über seinen roten Anorak, die gelbe Pudelmütze und den geringelten Schlauchschal lächeln, den er um den Hals trug wie eine hawaiianische Blumenkette.
In ihrer Wohnung stieß sie die Stiefel von ihren Füßen, drehte die Heizung hoch und ging mit Jacke und Mütze ins Bad, wo sie die Wanne einließ. Das Wasser dampfte heiß und verlockend. Rasch zog sie sich aus und sank stöhnend in den Schaum. Wahrscheinlich stand sie kurz davor, sich zu verbrühen, aber sie würde sogar in einen Topf kochendes Spaghettiwasser steigen, um endlich rundum warm zu werden. Ganz allmählich entspannten sich ihre Muskeln. In dem feuchtheißen Dampf ließen sogar die Halsschmerzen nach.
Doch ihr Kopf konnte nicht loslassen. Wenn Horst ermordet worden war, stand die Frage im Raum, ob bei Ivo nicht auch jemand nachgeholfen hatte. Motsch hatte von verdächtigen Schrammen an dessen Wagen gesprochen. Was fehlte, war ein Motiv. Ein Motiv, das, da war Katinka sich sicher, nirgendwo anders zu suchen war als beim Literatur- und Fresszirkel. Und es wäre schlau, dieses Motiv möglichst rasch einzukreisen, bevor der geheimnisvolle Mörder wieder zuschlug.
Schläfrig vom heißen Wasser, shampoonierte Katinka ihr Haar. Wo Hardo steckte? Es war fast neun, stellte sie mit einem Blick auf die Uhr fest.
Jemand klingelte bei ihr.
Das konnte nicht Hardo sein. Er besaß einen Schlüssel. Ich bin nicht da, beschloss Katinka und tauchte unter. Aber wer auch immer Einlass begehrte, er ließ nicht locker. Katinka stöhnte leise, stieg aus der Wanne, schlüpfte in ihren Bademantel und wickelte sich ein Tuch um den Kopf.
»Ich komme!« Barfuß tappte sie zur Tür.
Lon stand dort, bunt wie ein Kakadu, in Anorak und mit Mütze, sogar Handschuhe trug er, und in seinen Händen hielt er einen dampfenden Topf.
»Hühnersuppe«, sagte er fast entschuldigend, als er Katinkas Aufzug sah. »Ist sehr gesund. Weckt Tote auf.«
Katinka griff nach dem Deckel und hob ihn an. Ein betörender Geruch nach exotischen Gewürzen stieg ihr in die Nase.
»Autsch, heiß!« Sie ließ den Deckel fallen.
»Vorsichtig!«, warnte Lon. Er schob sich an ihr vorbei in die Küche, wo er den Herd anschaltete und den Topf liebevoll darauf absetzte. »Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.«
»Danke, Lon!«, brachte Katinka heraus. Die Studenten-WG erwies sich als die beste Entscheidung ihres Lebens.
Belebt von dem heißen Bad und der indischen Hühnersuppe kroch Katinka mit der festen Absicht in ihr Bett, die Ereignisse des Tages aufzuschreiben, um auf diese Weise Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Sie breitete Papier, Stifte, ihr Handy und ihr Festnetztelefon neben sich aus. Bevor sie auch nur eine Notiz schreiben konnte, schlief sie ein.
Sie bemerkte Hardo nicht, der eine Stunde später den Kopf in ihre Wohnung steckte. Er klaubte das herumliegende Schreibzeug und die Telefone ein, legte ihr kurz die Hand auf die Stirn, verzog das Gesicht, deckte Katinka zu, drosselte die Heizung um ein paar Grad und fiel neben ihr in Tiefschlaf.
Mittwoch, 19.12.
28
Die Sonne schien in Katinkas Schlafzimmer. Sie blinzelte. Sie war allein. Aber Hardo musste hier gewesen sein. Der Geruch seines Aftershaves hing noch im Raum.
»Hardo?«, rief sie halblaut. Sie stand auf. Seit Wochen, so kam es ihr vor, sah sie das erste Mal wieder so etwas wie Licht. Sie tappte in die Küche. Ein Zettel lag neben Lons Topf. Hardos Schrift.
»Danke für die Suppe. Auch als Frühstück zu empfehlen.«
Katinka musste lächeln. Sie blickte auf die Uhr. Halb neun. Offensichtlich hatte ihr die lange Pause gutgetan. Das Kopfbrummen war weg, die Halsschmerzen fühlten sich weniger dramatisch an. Sie schaltete die Kaffeemaschine an und ging ins Bad. Ihr Haar stand in alle Richtungen. Sie bürstete halbherzig durch ihren dunklen Schopf, gab aber sofort auf. Wichtig war, dass sie den Kopf frei
Weitere Kostenlose Bücher