Still und starr ruht der Tod
ein Wetter ging ihm normalerweise tierisch auf den Geist, aber heute schätzte er die Unbilden der Natur, denn das Wetter half ihm, sich zu verbergen. Niemand würde ihn bemerken. Auch die Heckscheibe war komplett zugeschneit. Ab und zu schaltete er die Scheibenwischer an und verschaffte sich ein Sichtfenster. Mehr brauchte er nicht.
Sein Blick fiel auf das Jugendstilhaus an der Ecke. Er hatte einen günstigen Aussichtspunkt. Nur wenige Fenster in dem Gebäude waren erleuchtet. Sie gaben der düsteren Straße mit ihren grellen Lampen und den braungrauen Schneematschhaufen auf den Gehsteigen etwas Heimeliges.
Er hätte sich denken können, dass der ganze Plan bescheuert und von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Von sich selbst hätte er mehr Logik und Stringenz erwartet im Umgang mit Ivos Vorhaben. Denn es war ganz klar Ivos Strategie. Sein verletzter Stolz. Wozu brauchte Ivo schon Geld? Hatte er nicht einen Beamtenjob mit einem regelmäßigen Einkommen?
Und Horst, der saß ja an der Quelle. Verdammt, Horst!
Artur ruckte auf seinem Sitz herum. Er hatte sich ziemlich verschuldet, nicht nur mit dem Wagen, den rechnete er nur zum kleinen Luxus, aber mit der Penthousewohnung in München und ein paar anderen Kleinigkeiten, die ihm wichtig waren. Wochenenden mit der einen oder anderen tollen Frau. Susanne wusste das mit München noch gar nicht. Aber er hatte nicht vor, sein Leben in Oberfranken zu fristen. Er wollte dahin, wo was los war.
Unterm Strich hatte er sich verrechnet. Er würde die Wohnung wieder loswerden müssen. Und zwar so schnell wie möglich.
Es sei denn, er konnte sein Wissen zu Geld machen. So wie Ivo es vorgehabt hatte. Ivo, der Dilettant. Pappnase! Artur lachte freudlos auf. Rita hatte damit durchaus recht. Auch bei Horsts Einschätzung: Schluffi. Idiot. Er schnaubte. Das Attribut Kanaille, das sie für ihn ausgesucht hatte, nahm er ihr nicht mehr übel. Bald würde er regeln, was zu regeln war, und dann konnte er noch einmal neu anfangen. Er durfte sich nur nicht einschüchtern lassen. Seine Hände waren feucht, er war nervös, aber er würde es schaffen.
Natürlich hatte er immer mal wieder in den Online-Ordner geschaut. Er hatte die Texte gelesen. Sie hatten ihn amüsiert. Rita und ihre Spitzfindigkeiten. Man musste sie für die Kaltschnäuzigkeit bewundern, mit der sie durchs Leben ging. Mit Rita würde er schon einig werden.
27
Katinka konnte kaum sagen, wie sie es nach Hause geschafft hatte. Sie war den Warnmeldungen im Radio zuvorgekommen und hatte die Autobahn gemieden. War über Kronach bis Lichtenfels gekurvt, teilweise im Schritttempo über Eisplatten, teilweise hinter Schneepflügen herzockelnd, und erst dort auf die A 73 aufgefahren. Auf den letzten Kilometern konnte endlich die Anspannung nachlassen. An ihrer Stelle kroch der Schüttelfrost über ihren ganzen Körper, obwohl die Heizung auf voller Leistung lief. Um das Klappern ihrer Zähne abzufedern, schob Katinka sich einen Kaugummi in den Mund. Sie dachte an Horst Broicher, an Walli, an Ivo. An Rita. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber sie hatte keinerlei Anhaltspunkt. Als sie an der Basilika Vierzehnheiligen vorbeirauschte, staunte sie, wie sehr der Schneefall die Beleuchtung zu dämpfen schien. Von der riesigen Kirche sah sie kaum mehr als einen orangefarbenen Schatten an einem finsteren Hang. Ihr Kopf schmerzte, der Hals tat weh. Als ihr Handy klingelte, wollte sie nicht rangehen. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um den Beetle auf der rechten geräumten Spur zu halten. Schließlich drückte sie doch auf den grünen Knopf.
»Palfy?«
»Simone Mathieu hier. Ich stecke in Nürnberg am Flughafen fest.«
»Haben Sie keinen Flieger mehr bekommen?«
»Das Ticket nach Paris habe ich in der Hand«, seufzte Simone, »aber für heute Abend sind alle Flüge annulliert.«
Kein Wunder, dachte Katinka.
»Ich versuche, mit dem Zug nach Bamberg zurückzufahren«, vermeldete Simone.
»Wie Sie meinen. Horst Broicher ist tot.«
»Was?«
»Ich war eben in der Nähe von Töpen bei Hof. Da steht sein Wagen im Schnee.« Katinka hustete. »Er hat eine Kopfwunde. Die Polizei hofft auf Erkenntnisse durch die Magie der Rechtsmedizin.«
Simone blieb still.
»Gute Weiterreise.« Katinka legte auf. Was, wenn Simone die Psychotexte verfasst und in den Online-Ordner gelegt hatte?, schoss es ihr durch den Kopf. Aber wozu? Um Rita vor ihren Freunden unmöglich zu machen?
Hardo war noch nicht zu Hause, als sie ihren Beetle im
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