Still und starr ruht der Tod
mitzunehmen als die Verunglimpfung selbst. »Sie hat ja recht. Rita, meine ich. Sie schrieb, mir sei nicht zu helfen, wenn ich nicht selbst begreife, dass mir die Welt zu Füßen liegt.« Schluchzend barg sie ihr Gesicht in den Händen. »Es ist wahr! Und nur eine Sache der Perspektive! Natürlich kann ich mein Leben so leben, als läge mir die Welt zu Füßen. Aber im Moment ist diese Welt ein einziger Trümmerhaufen.«
Katinka verspürte ein schrecklich dringendes Bedürfnis nach einer Tasse Kaffee mit viel heißer Milch. Besonders, wenn sie zum Fenster hinaussah, vor dem die Schneeflocken dicht an dicht fielen. Man hörte die Autos durch den Schneematsch pflügen, langsamer als im üblichen Stadttempo. Das blinkende Gelblicht eines Winterdienstfahrzeugs tanzte über die Wohnzimmerwand.
»Das ist doch völlig verständlich. Wenn man verlassen wird, ist alles wüst und leer.«
»Sind Sie auch schon verlassen worden?« Simone sah Katinka hoffnungsvoll an, als könne das Schicksal einer anderen ihren Schmerz lindern.
»Sie sagten es selbst: Wir sind viele.«
»Das hat Rita auch gesagt. Als ob sie irgendetwas davon verstünde.«
»Was wissen Sie denn über Ritas Beziehung?«, ging Katinka auf diese Steilvorlage ein.
»Beziehung?«
»Sie hatte einen Freund. Der sie verlassen hat. Oder sie ihn.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Simone erstaunt. »Wirklich nicht.«
»Rita hat sich Ihnen nie anvertraut?«
»Wie gesagt, wir haben etliche Jahre nicht wirklich Kontakt gehabt. Jahrzehnte. Und wenn, dann per Mail. Solche Sachen tippt man nicht in eine E-Mail und klickt auf ›Senden‹.«
Manche Leute taten das allerdings, aber Katinka glaubte Simone dennoch.
»Die Quelle, von der ich die Information habe, ist verlässlich«, hielt Katinka dagegen.
»Es passt nicht zu Rita. Sich auf einen Mann einzustellen, meine ich.« Simone knetete ihre Hände. »Im Studium, als alle vor allem darauf aus waren, sich einen von den gut aussehenden BWLern zu schnappen, hat sie nur höhnisch gelächelt.«
»Es würde zu ihr passen, einen Mann abzuservieren, der sie nicht genug achtet, nehme ich an.«
Simone nickte. »Ich habe das Gefühl, dass ich Rita nie gekannt habe.« Ratlos sah sie aus dem Fenster; auf den Schnee, der lautlos aus grauen Wolken herniederrieselte und sich irgendwo im trüben Licht verlor . »Sie ermitteln weiter?«
Katinka rief bei Petronella Kallweit an. Sie war nicht zu erreichen. Ihr sogenannter Assistent fiel ihr ein. Wo steckte eigentlich Dante? Auch er ging nicht an sein Handy. Das war seltsam. Dante war normalerweise Tag und Nacht erreichbar. Seit zwei Tagen hatte sie nichts von ihm gehört. Sie schickte ihm eine Mail mit der Bitte, sich zu melden.
Stattdessen rief Hardo an und gab durch, dass er länger als sonst im Büro bleiben musste. Es schien nun doch einen Durchbruch in dem unappetitlichen Fall von tödlicher Freiheitsberaubung zu geben, an dem Hardo derzeit schuftete.
Katinka fuhr nach Hof. Am Kreuz Bayreuth/Kulmbach stand sie im Stau. Sie fluchte und ärgerte sich über sich selbst, weil sie es jedes Mal versäumte, ein paar CDs ins Auto zu legen. In drei Tagen war Heiligabend. Hardo hatte bestimmt auch noch kein Geschenk für sie. Wie wäre es mit einer Kollektion CDs, dachte sie grimmig, die Charts des Jahres oder so. Sie würde versuchen, in Hof einzukaufen.
Als sie vor der Polizeiinspektion parkte, war es schon kurz vor fünf. Sie hatte sich nicht bei Petronella Kallweit angemeldet und konnte nur hoffen, dass sie im Büro war.
»Ach, die Frau Privatdetektivin«, lachte die Kallweit, als der Diensthabende am Eingang sie mit dem Büro der Kommissarin verband. »Habe ich mir gleich gedacht, dass Sie hier hereinschneien würden. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Zehn Minuten später saß Katinka mit einem Glas Latte macchiato vor sich am Schreibtisch der leitenden Ermittlerin und betrachtete die Fotos von Ritas Leiche.
»Hier, sehen Sie die Wunde am Hinterkopf?« Die Kallweit klopfte mit dem Zeigefinger auf die dunkle Stelle an Ritas rasiertem Schädel. »Die Rechtsmedizinerin sagt, sie hat Partikel von der Holzplatte darin gefunden. Rita stürzte also mit ziemlicher Wucht auf die Tischkante. Sie ist nicht an der Erschütterung gestorben, sondern erfroren, weil sie durch den Sturz oder Schlag bewusstlos wurde.«
»Die Hütte war ungeheizt?«
»Es gibt dort sogar einen Holzofen und eine gut gefüllte Holzlege. Der Förster sagte, seiner Ansicht nach hätte in letzter Zeit niemand
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