Still und starr ruht der Tod
Vorstellung, weil wahrscheinlich Millionen von genervten Last-Minute-Shoppern zur selben Zeit unterwegs sein würden. In Ermangelung einer Alternative schaltete Katinka den CD-Spieler ein. Im Takt von Bandolero trommelten ihre Finger auf das Lenkrad.
Mehr Sorgen als die fehlenden Weihnachtsgeschenke machte ihr die ungeklärte Frage, wo Dante steckte.
38
In Bamberg hatte es aufgehört zu schneien. Trotzdem staute sich der Verkehr auf dem Berliner Ring. Die Geschäfte schlossen bald; wer konnte, hatte das Wochenende mit berauschendem Konsum eingeleitet.
Ich werde langsam irre mit diesem Weihnachtsmist, dachte Katinka. Wieso beschließen Hardo und ich eigentlich nicht, ganz ohne Geschenke auszukommen? Wir machen uns beide nichts daraus.
Auf der Pfisterbrücke hatte es einen Unfall gegeben. Die steil ansteigende Brücke, die über die Bahntrasse in die Innenstadt führte, war im Winter ein unfallträchtiger Ort, weil meistens eisglatt und von den Verkehrsteilnehmern notorisch unterschätzt. Stöhnend fand sich Katinka damit ab, weitere 20 Minuten in einer Blechschlange zu stehen, bis ein demoliertes Auto abgeschleppt und die Fahrspuren wieder frei waren.
Kaum parkte Katinka den Beetle in ihrem Innenhof, läutete ihr Handy.
»Kallweit hier. Volltreffer!«
»Nämlich?« Eigentlich hoffte Katinka, den Abend in der Badewanne verbringen zu können.
»Heiner Kowalski. Gestorben im Winter 2009. Zusammen mit seiner Schwester und seiner Mutter. In einem Auto im Frankenwald.«
Katinka stieg aus und schlug die Wagentür zu. »Wie ist das passiert?« Der Bewegungsmelder versagte. Sie tappte im Dunkeln zur Haustür, alle Elektriker dieser Welt verfluchend. Weder aus Evas Wohnung noch aus der der Studenten drang Licht. Mit steifen Fingern kramte sie nach ihrem Schlüssel.
»Der Wagen stand mitten auf der Straße. Die drei Kowalskis waren darin eingeschlossen. Sie kennen das: Mit diesen elektronischen ›Klicks‹ kann man einen Wagen von außen verriegeln, und von innen kommt man nicht raus. Nur, wenn man selbst einen Funkklappschlüssel hat.«
Katinka kam einfach nicht an ihren Haustürschlüssel. Ihr war kalt, sie wollte rein.
»Jemand hat drei Leute im Auto eingesperrt? Sind sie erfroren?«
»Nein. Ein Schneepflug hat sie gerammt. Der Wagen wurde mit voller Wucht gegen den felsigen Überhang an der Straße gedrückt. Heiner und seine Mutter waren sofort tot, seine Schwester starb am selben Abend im Krankenhaus. Jemand muss sie von außen eingeschlossen haben. Der Schneepflugfahrer hat ausgesagt, der Wagen wäre unbeleuchtet gewesen. Im dichten Schneetreiben konnte er das Auto nicht sehen, und als er merkte, dass seine Schaufel es wegdrückte, war schon alles zu spät. Der Mann erlitt einen Schock. Er ist seitdem arbeitsunfähig. Depressiv. Vom Gericht wurde er freigesprochen.«
In Katinkas Kopf rotierte alles.
»Mehr Informationen gibt es im Augenblick nicht, Frau Palfy«, sagte die Kallweit mit Nachdruck. »Und ich möchte, dass Sie alles, was ich Ihnen gerade berichtet habe, mit größter Diskretion behandeln, sollten Sie mit einer der beteiligten Personen sprechen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Klar wie Kloßbrühe. Danke, dass Sie mich angerufen haben.« Katinka legte auf. Petronella Kallweit verhielt sich ihr gegenüber wirklich sehr kooperativ. Eine Weile blickte sie verloren auf das Display ihres Handys, bis es sich abschaltete.
Den Schatten, der über den Hof glitt, sah sie erst, als er über sie fiel und starke Arme sie mit der Nase gegen die Hauswand drückten. Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle. Mit professioneller Brutalität wurden ihr die Arme auf den Rücken gedreht. Das Handy rutschte ihr aus den Fingern. Sie schlug mit dem linken Bein nach hinten aus, traf. Ein Stöhnen kam von dem Angreifer. Der Druck an ihren Armen wurde für Sekunden schwächer. Katinka nutzte das Überraschungsmoment, wirbelte herum und wurde von einem Tritt in die Seite mit dem Gesicht nach unten in den Schnee gestoßen. Die Kälte biss ihr in Stirn, Nase und Wangen. Sie keuchte, bekam Schnee in die Lungen. Das Brennen war unerträglich. Etwas Hartes drückte auf ihr Genick. Sie ruderte mit den Armen. Verzweifelt versuchte sie, Luft zu kriegen. Sie konnte den Hals kaum drehen. Etwas Rotes blitzte vor ihren Augen auf, große, pulsierende Kreise. In ihren Ohren begann es zu dröhnen.
Das war’s, jagte es durch Katinkas Kopf. Und ich habe noch keine Weihnachtsgeschenke. Leblos sanken ihre Arme in den
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