Still und starr ruht der Tod
ein.
»Wissen Sie, wie viele Kollegen ich abstellen muss, wenn sie jeden Winterunfall durchchecken? Sagen wir, für die letzten fünf Jahre?«
»Sie würden den Unfall von Ivo Leistner nicht als ungeklärt abhaken, oder?«
»Doch. Und auch wieder nicht.«
»Gibt’s was Neues von Ihrem Experten in Prag?«
»Das läuft noch. Aber ich lasse mich nicht mehr davon abbringen: Das ganze Vorgehen passt zu Ritas Persönlichkeit! Sie hat die Chuzpe, als Mann ausstaffiert einem gelangweilten Autovermietungsmenschen fremde Dokumente hinzuknallen, die Unterschrift zu fälschen und mit dem Auto davonzufahren. Nee, nee«, machte die Kallweit. »Wir müssen nach einem ungeklärten Unfall suchen. Lassen Sie mich nur machen.«
Katinka stand auf. »Danke für die Infos.«
»Und wenn Sie was hören …« Große Bernsteinaugen richteten sich auf Katinka.
»Klar. Ich melde mich.«
Sie stieg in ihr eiskaltes Auto und wählte die Handynummer der Theissens. Eine Welle von Bitterkeit überflutete sie. Warum schaffe ich es nicht, den Winter in der Karibik zu verbringen?, fragte sich Katinka. Stattdessen kaufe ich ein marodes Haus.
Es knackte in der Leitung. »Hallo?«
»Hallo, Herr Theissen? Hier ist nochmal Katinka Palfy. Könnte ich bitte mit Ihrer Frau sprechen?«
Es folgte ein Wortwechsel, den Katinka wegen der schlechten Verbindung nicht verstand. Endlich meldete sich eine zuckersüße Stimme. »Ja?«
»Frau Theissen?«
»Was wollen Sie denn? Wir haben Urlaub!«
Dann sei hübsch erleichtert, dass du nicht unmittelbar auf dem Tablett des Mörders liegst, dachte Katinka grimmig. Oder in der Kältekammer der Rechtsmedizin.
»Ich suche immer noch nach Rita Weiß. Sie ist nach wie vor nicht auffindbar, und wir machen uns große Sorgen.« Sie hatte spontan beschlossen, Irmi nichts von den beiden weiteren Morden zu sagen. Vielleicht hatte Susanne ihre Busenfreundin postwendend informiert. Egal, sollte Irmi ruhig glauben, dass Katinka wie auch die Polizei im Dunkeln tappten. »Könnte es sein, dass Rita bei einem Mann Zuflucht gesucht hat?«
»Bei einem Mann ?«
Genauso gut hätte Katinka fragen können, ob Rita sich in einer Raubvogelvolière verkrochen haben könnte.
»Ich meine, hat sie einen Freund, bei dem sie Hilfe finden würde, wenn sie in Schwierigkeiten steckte?«
»Nie im Leben. Die Sache mit Heiner ist längst vorbei. Und ob sie bei dem Hilfe gefunden hätte, wage ich zu bezweifeln!« Im Hintergrund begann eine lebhafte Diskussion, die Katinka nicht verstand, weil Irmi offenbar die Sprechmuschel des Telefons abdeckte. »Hören Sie, ich muss Schluss machen.«
»Eine letzte Frage: Ist Susanne Schweigau im Moment in psychotherapeutischer Behandlung?«
»Susanne?«
»Sie ist doch eine gute Freundin von Ihnen, oder?« Jetzt sag mir bitte nicht, du bist auch beleidigt, weil Susanne dich erst als Kummerkastentante missbraucht und schließlich abserviert hat.
»Artur hat Susanne in eine Behandlung gezwungen. Die Psychologin selbst hat ihr vorgeschlagen, die Therapie auszusetzen. Weil sie mit ihren Problemen eigentlich ganz gut zurechtkommt.«
»Eigentlich?«
»Ich muss Schluss machen.«
Klick. Katinka sah das Telefon in ihrer eiskalten Hand an. Nach den verhängnisvollen Texten hatte sie gar nicht mehr fragen können, aber vermutlich hatten die Theissens sie ohnehin nicht gelesen, denn am 11.12. waren sie mit Urlaubsvorbereitungen beschäftigt gewesen. Katinka seufzte. Die Theissens lagen an einem weißen Strand, schlürften einen Cocktail, während am Horizont ein Schiff mit weißen Segeln … Sie warf das Handy in ihren Rucksack und ließ den Motor an. Was sollte sie Hardo zu Weihnachten schenken? Eine gemeinsame Reise in die Karibik? Die sie vor seiner Pensionierung nicht antreten würden?
Sie kramte erneut das Handy hervor und rief die Kallweit an. Es meldete sich die Mailbox.
»Frau Kallweit, schauen Sie mal, ob Sie irgendeinen Heiner, Nachname unbekannt, in Verbindung mit Rita bringen können. Tschau.«
Gleich anschließend drückte sie die Kurzwahl für Dantes Mobilanschluss. Auch hier eine Mailbox.
»Wischnewski«, sagte Katinka feierlich, »melden Sie sich, sonst gebe ich eine Vermisstenanzeige auf.«
Sie ließ den Motor an und steuerte mit Mühe aus der Parklücke; der Schneepflug hatte einen Hügel Schmutzschnee neben ihrem Beetle aufgetürmt. Wie lange würden sie sich noch durch diesen Winter kämpfen müssen? Zum Einkaufen der Weihnachtsgeschenke blieb ihr der Samstag, eine schockierende
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