Stille Kuesse sind tief
gute Freunde.“
„Quatsch. Sie sind ein Mann, sie ist ʼ ne Frau, und dann gibt es noch den Tod. Dazwischen ist nicht viel. Meine Elizabeth und ich, wir sind seit zweiundsiebzig Jahren verheiratet. Glauben Sie etwa, wir sparen uns für samstagsabends auf?“
Diese Aussage, die für Shanes Geschmack eindeutig zu viele Informationen enthielt, wurde von einem Ellenbogenstoß in die Rippen und einem Zwinkern begleitet. Shane machte einen Schritt zurück und versuchte zu lächeln, während er gleichzeitig überlegte, ob er nicht einfach umdrehen und den Weg zurück in die Stadt joggen sollte. Es waren vielleicht zehn oder fünfzehn Meilen. Er sollte eigentlich motiviert genug sein, um das locker zu bewältigen.
„Albert, kommen Sie, und schauen Sie sich an, was ich mitgebracht habe. Ich habe einen neuen Autor gefunden, der Ihnen bestimmt gefallen wird.“
Zwanzig Minuten später ließ sich Shane ermattet auf den Beifahrersitz fallen, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sein Magen protestierte gegen den selbst gebrannten Schnaps, den Alfred ihm aufgedrängt hatte.
„Wie bist du denn auf die gestoßen?“, fragte er Annabelle.
„Sie haben im letzten Sommer in der Bücherei angerufen und gefragt, ob ihnen nicht jemand ein paar Bücher bringen könnte. In der Stadt wäre zu viel Verkehr, da würden sie nicht mehr gern Auto fahren.“
„Sicher. Weil in Fool ʼ s Gold ja so viel los ist. Wie viele Ampeln gibt es da? Acht?“
Annabelle lachte. „Für sie ist das wahrscheinlich viel. Ich glaube, die Brüder kommen drei oder vier Mal im Jahr vom Berg runter. Es ist eine andere Welt, in der sie leben, aber es sind nette Menschen.“
Das sagte sie so einfach. Sie war ja auch nicht von einem wollüstigen Mann bedroht worden, der fast hundert war.
„Ich glaube, ich verzichte auf weitere Bekanntschaften mit deinen Büchereikunden.“
„Keine Angst“, meinte sie lachend. „Ava wird dir gefallen. Sie ist bezaubernd. Eine Computerprogrammiererin, die leider unter MS leidet. Wenn sie kann, kommt sie auch in die Bücherei, aber wenn sie wieder einen Schub hatte, ist es für sie einfacher, wenn ich ihr Bücher bringe.“
„Eine Computerprogrammiererin, die lieber altmodische Bücher anstatt E-Books liest?“
„Einige Menschen ziehen es vor, Papier in den Händen zu halten. Das hat was mit dem Tastsinn zu tun.“
Das mit dem Tastsinn war schon eine feine Sache, allerdings dachte Shane dabei weniger an Bücher als an etwas ganz anderes.
Annabelle hielt die kleine Geschenktüte hoch, die sie mitgebracht hatte. „Ich weiß ja, dass man traditionell einen Auflauf oder so mitbringt, aber ich bin nicht die beste Köchin, daher wäre das ein wenig riskant gewesen.“
Montana öffnete die Tür zu ihrem Haus noch weiter und lachte. „Wenn du meinen Tiefkühlschrank sehen könntest, würdest du dich definitiv nicht dafür entschuldigen, nichts Essbares mitgebracht zu haben. Ernsthaft, wir haben so viele Lebensmittel, dass wir damit bis 2021 auskommen könnten. Ich habe meinen beiden Schwestern und meiner Mom schon Aufläufe mitgegeben.“ Sie umarmte Annabelle. „Schön, dass du gekommen bist.“
„Danke für die Einladung.“
Montana warf einen Blick in die Tüte und schaute dann begeistert wieder auf. „Ehrlich?“
„Ihre neue Sommertrilogie als Hörbuch. Ich dachte, die kannst du dir anhören, während du dich um das Baby kümmerst.“
„Wie aufmerksam von dir. Vielen Dank. Bitte, komm doch rein.“
Annabelle trat in das große Haus. Das Sonnenlicht strahlte durch das Fenster über der Doppeltür und ließ den Holzfußboden glänzen. Vom Flur aus kam man in ein großes Wohnzimmer und von dort ins Esszimmer, in dem locker zwanzig Leute Platz hatten. Das Haus wirkte gemütlich und heimelig, denn trotz der großen Räume spürte Annabelle, dass es hier im Haus genügend Liebe gab, um bis in jede Ecke vorzudringen.
Montana führte sie durch das Wohnzimmer und die Küche, die so groß war wie in einem Restaurant, in ein helles Kinderzimmer. Die kleine Skye lag in einer Krippe und wedelte mit ihren winzigen Händen, als sie ihre Mom sah.
Annabelle spürte, dass sich ihr beim Anblick des Babys die Kehle zuschnürte. Sie hielt sich nicht für sonderlich mütterlich, aber natürlich war sie immer davon ausgegangen, irgendwann selbst einmal Kinder zu bekommen. Ihre Scheidung hatte diese Träume erst einmal begraben. Jetzt musste sie sich überlegen, wie sie sie wieder aufleben lassen konnte.
„Wie gefällt
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