Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
Gesicht war immer noch kreidebleich.
»Jetzt übertreibst du aber, Hubertus Hummel. Und überhaupt: Ich habe die Situation die ganze Zeit im Griff gehabt und den Wagen mit einem brillanten Schleudermanöver sicher abgebremst.«
Allerdings musste er einen vollbärtigen Schwarzwaldbauern von einem der benachbarten Höfe mit dessen Traktor bemühen, um seinen fahrbaren Untersatz aus den Schneemassen ziehen zu lassen.
Der schüttelte nur mit dem Kopf, als er das fast eingegrabene Fahrzeug sah. »Sie müsset scho langsamer fahre, wenn’s so viel Schnee hät«, redete ihm der Mann ins Gewissen.
Klaus lächelte nur und nickte, während er ihm einen 20-Euro-Schein für den Hilfsdienst in die Hand drückte.
Kurz darauf war er schon wieder bester Laune.
»Nach dem Schrecken wird uns die frische Schwarzwaldluft guttun.«
Er hatte sich seine Skatingskier untergeschnallt und drehte bereits eine Proberunde im gekonnten Schlittschuhschritt auf der drei Kilometer langen Laternenloipe.
Sein Freund war derweil noch damit beschäftigt, sich körperlich und mental auf seinen sportlichen Einsatz vorzubereiten. Hubertus warf einen Blick auf seine Fettpolster, die in dem engen Anzug noch stärker zur Geltung kamen, und war froh, dass Elke ihn so nicht sah. Er überquerte die Straße, nicht ohne noch mal nach dem roten Golf Ausschau zu halten.
Nichts.
Er schnallte sich die Skier unter und machte sich auf die längere Rundloipe in Richtung Spechttanne.
Es dauerte nicht lange, da hatte ihn Riesle bereits im Renntempo eingeholt.
Hummel war frustriert. Als Dreijähriger hatte er zum ersten Mal auf Skiern gestanden, doch irgendwie schien ihm im Laufe der Jahrzehnte das den Schwarzwäldern angeborene Skigefühl abhanden gekommen zu sein. Er versuchte, Schritt für Schritt seinen Rhythmus zu finden.
Eine Abzweigung von der Loipe führte über eine Lichtung, die einen weiten Rundblick auf das Schwarzwaldpanorama zwischen Kandel und Feldberg bot. Die Landschaft wirkte wie verzaubert. Eine meterdicke Schneeauflage glänzte im Sonnenlicht.
Hubertus vergaß für einen Augenblick die Anstrengungen und seine Müdigkeit. Wofür andere viele Hundert Kilometer Anfahrt in Kauf nahmen, das alles lag fast vor seiner Haustür. Die dicht bewaldete Berglandschaft, die Kuckucksuhren und die typischen Schwarzwaldhäuser mit den tief heruntergezogenen Krüppelwalmdächern hatten die Region weltberühmt gemacht.
Nach dem nächsten Anstieg war er völlig ausgepumpt.
»Keine Sorge«, beruhigte Klaus, dem die Puste überhaupt nicht auszugehen schien. »Nach dem Schwedenkreuz kommt eine schöne Abfahrt.«
Von Erholung war dabei allerdings keine Spur. Hubertus konnte X-Beine machen, wie er wollte: Sein Schneepflug brachte die rasante Fahrt einfach nicht mehr zum Bremsen. An einer scharfen Kurve spürte er die Fliehkräfte auf seinen beleibten Körper wirken. Klaus lachte schallend ob der famosen Bauchlandung und lud Hubertus anschließend zum Bauernvesper in einen urigen Gasthof ein.
Doch die deftigen Bratwürste und das Bier verlangsamten den anschließenden Langlaufschritt nur noch mehr.
Als Hummel sich endlich anschickte, die letzten Kilometer zu überwinden, erinnerte er sich eines berühmten Sportreporter-Ausspruchs: »Wo ist Behle?«, hatte Bruno Moravetz einst bei den Olympischen Spielen 1980 verzweifelt gefragt.
Wo ist eigentlich Riesle?, fragte sich nun Hubertus bei diesem sportlich weniger hochkarätigen Langlauf.
Klaus hatte ihn wieder mal abgehängt.
Nun dämmerte es bereits. Gerne hätte er noch einen Moment innegehalten, um das Abendrot über dem verschneiten, stillen Wald zu genießen. Da er aber offenbar der letzte Langläufer des Tages war, legte selbst er nun einen Zahn zu und schnaufte dabei wie das einstige Dampfross seines Vaters auf der Schwarzwaldbahn.
Er dachte noch mal an den roten Golf, der sie auf der Hinfahrt von der Straße abgedrängt hatte. War es wirklich nur ein Streich gewesen oder der Versuch, die Freizeitdetektive aus dem Weg zu räumen?
Als er bereits glaubte, zwischen den Tannenzweigen die Lichtung der Martinskapelle hindurchschimmern zu sehen, hörte er ein Rascheln. Dann ein Knirschen. Überholte ihn doch noch ein weiterer Läufer?
Hummel drehte sich um.
Doch da war kein Langläufer! Eine massige Gestalt trat hinter einer dicken Fichte hervor.
Hummel stockte der Atem. Er wollte flüchten, aber die Angst lähmte ihn.
Wie angewurzelt stand er in der Langlaufspur und starrte auf den Schatten, der nur noch
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