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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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Das kannst du nicht von mir verlangen! Nicht so etwas!“
    „Du bist mein Freund!“
    Jakob schloss die Augen und erwiderte mit brüchiger Stimme. „Ja, und genau deshalb werde ich dich hier nicht sterben lassen, nur weil dir die Luft ausgeht!“
    Seine Muskeln zitterten, als Connor unter erheblicher Anstrengung den Arm hob und Jakobs Handgelenk umfasste. „Lass los!“
    „Nein!“ Jakob spürte den schwachen Druck, als Connor seine Hand fortzuziehen versuchte. „Niemals! Hör sofort auf mit dem Scheiß, Connor!“
    „Lass mich los!“
    Wilde Entschlossenheit lag auf Connors Gesicht und es erstaunte Jakob, wie viel Kraft noch in dem Körper steckte, als er jetzt anfing, sich gegen ihn zu wehren. Er zog und zerrte. Am Ende versuchte er es sogar mit einigen kraftlosen Schlägen, aber Jakob hielt unbeirrt fest, suchte immer wieder das Gefäß, sobald es ihm entglitt. Er verdrängte die Tatsache, dass er ganz tief in seinem Inneren selbst mit dem Gedanken gespielt hatte, einfach aufzugeben und fortzurennen. Fort von der Gefahr, in der sie sich noch immer befanden, fort von den Leichen der Kinder und seiner Kameraden, die nur wenige Meter von ihnen entfernt lagen und fort von Connor, der entstellt um sein Leben bettelte. Er hasste sich für diese Gedanken, aber wichtig war jetzt nur, dass es ein Gedanke blieb und er genügend Kraft für sie beide hatte. Das schwache Flüstern seines Freundes riss ihn zurück in die Realität.
    „Es tut weh!“
    „Ich weiß!“ Jakob streichelte Connor zärtlich über die Stirn. „Ich weiß! Aber du schaffst das! Ich bin hier!“ Er dankte Gott, dass seine Stimme wieder etwas überzeugter klang. Er hörte Connor schluchzen und zwang sich, nicht hinzusehen. Er starrte an die Decke, holte mehrmals tief Luft und versuchte, an gar nichts zu denken. Krampfhaft versuchte er, alles zu ignorieren, was ihn dazu gebracht hätte aufzugeben.
     
    Endlose Minuten – oder Stunden? – später hörte Jakob wie durch einen Nebel starken Gefechtslärm. Wenig später flog die Tür auf. Zu diesem Zeitpunkt spürte Jakob seine Gliedmaßen nicht mehr, ihm war kalt und sein Körper war ein einziger fleischgewordener Schmerz. Der eigene Blutverlust jagte ihm den Schwindel in Wellen durch den Körper. Der Geruch von Erbrochenem erfüllte den Flur. Während er sich in Krämpfen mehrmals hatte übergeben müssen, hatten seine Finger den Kontakt mit der pochenden Arterie verloren. Schnaufend und mit unscharfem Blick hatte er sie wieder gesucht, während ihm Reste schlecht riechenden Speichels vom Kinn getropft waren und Connors Uniform durchnässt hatten. Seine Wunden pulsierten taub und fühlten sich, anders als sein frierender Körper, heiß und geschwollen an. Als jetzt die Sanitäter seinen Körper von Connors zogen, war sein Blick stumpf, ohne Ziel. Er reagierte nicht auf sie oder die Fragen, die ihm gestellt wurden. Eine Nadel wurde ihm in die Vene seines linken Armes gestochen. Er spürte, wie ihm einer der Sanis mit einem Tourniquet das verletzte Bein abband.
    „Die Austrittswunde ist durch die Taumelbewegung des Projektils enorm. Er hat viel Blut verloren. Hoffen wir, dass er es schafft!“
    Jakob wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.
    Wieso reden die alle, als wäre ich gar nicht da. Scheiße, ich bin hier, ihr Idioten! Angst durchströmte ihn. Er spürte, wie die Injektion warm durch seine Venen strömte. Die Anspannung seiner Muskeln löste sich. Die Schmerzen wurden dumpf, unbestimmt, irgendwie nicht mehr greifbar, und dann kam tiefes, erlösendes Schwarz.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    03. Juni 2005, Rückkehr zur Regeneration nach Jabehill
     
     
     
    Das westliche Ende South Dakotas flog am Zugfenster vorbei und Jakob versuchte sich vorzustellen, wie es auf der anderen Seite des verschlossenen Fensters riechen musste. Goldgelbe Weizenfelder wechselten sich mit meilenweiten Weideflächen ab und erinnerten Jakob an sein früheres Leben in diesem Land, während ihn der Zug immer näher an sein Zuhause brachte.
    Nicht einmal mehr zwei Stunden. Er vermied es, bewusst das innere Vibrieren und Kribbeln zu analysieren. Er wusste instinktiv, dass es ebenso Vorfreude wie Angst war. Die ständig gleichen, immer ambivalenten Gefühle für seine Familie. Nur, dass es diesmal anders sein würde, einfach, weil sich alles verändert hatte. Die Frage blieb, ob diese Veränderungen es einfacher oder schwieriger machen würden, wieder Zugang zu ihnen zu finden. Jakob wünschte, er

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