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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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zu lohnen. Offensichtlich hatte er in den vergangenen Jahren gelernt, besser zu verbergen, was wirklich los war.
    Jackson Atwood nickte und schloss ihn dann liebevoll in seine A rme. Dabei murmelte er: „Nicht schlimm, das ist gut!“ Leise wiederholte er die Worte an Jakobs Ohr. „Das ist gut!“
     
     
     
    16. Juni 2005, Jabehill, Haus der Atwoods
     
     
     
    „Wie ist es so bei der Army?“ Sarah ließ sich neben Jakob auf sein Bett fallen und störte ihn damit beim Lesen.
    Er verzog kurz das Gesicht, aber die Freude darüber, seine kleine Schwester wiederzusehen, überwog, also legte er das Buch beiseite und betrachtete sie nachdenklich. Sie war erwachsen geworden. Jakob hatte ihren Schulabschluss verpasst, wie so vieles andere, als er g egangen war, aber das tat ihrer unerschütterlichen Geschwisterliebe keinen Abbruch. Sie schien ihm deshalb nicht böse zu sein. Wahrscheinlich, weil sie nicht angenommen hätte, dass du gekommen wärst, selbst wenn du noch hier gewohnt hättest. Auch wenn er diesen Gedanken lieber weggewischt hätte, entsprach er der Wahrheit. Sein altes Ich wäre nicht zu ihrer Abschlussfeier gekommen. Sein altes Ich hätte sich stattdessen lieber in einer Kneipe zu gedröhnt und Autos geknackt. Ganz zu schweigen von den noch illegaleren Sachen, die sie angestellt hatten und an die er sich lieber nicht mehr erinnern wollte.
    „Was willst du denn wissen?“ Er rollte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Es war unnötig, dass Jakob das Stück weiße Decke über sich anguckte, um zu wissen, wie es aussah. Jedes Mal, wenn er gegen die Decke ihres Gemeinschaftsraums in Kandahar gestarrt hatte, hatte er es gesehen. Oben links befand sich ein kleiner Riss und über dem Fenster hatte sich das Weiß etwas verfärbt.
    Sarah kicherte. „Alle dreckigen Details!“
    „Es gibt keine!“ Er blinzelte kurz zu ihr herüber, bevor er erneut die Augen schloss und tief durchatmete.
    „Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du mit hunderten von knackigen, durchtrainierten Männern zusammen bist, und es gibt keine dreckigen Details?“
    „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ‘ne schmutzige Fantasie hast?“
    „Ja!“ Sie schien unbeeindruckt.
    „Ach ja, und ganz nebenbei bemerkt, bin ich hetero. Ich wüsste also nicht, was es mich kümmern sollte, wie viele Männer dort sind und wie sie aussehen!“
    Sarah stöhnte gequält auf und gab ihm einen sanften Schlag auf die Stirn. „Es soll doch nicht dich interessieren, sondern es interessiert mich. Das nennt man Spionage. Ich will Details!“
    Jakobs Muskeln verkrampften sich und für den Bruchteil einer S ekunde überlegte er, dem Impuls nachzugeben, sie daran zu hindern, ihm so vertraut nahe zu kommen. Immerhin könnte ich das. Ich bräuchte wahrscheinlich nicht länger als eine halbe Minute, um sie mit meinen bloßen Händen zu töten! Angewidert sah er auf seine Hände, die so viele Dinge getan hatten, auf die niemand stolz sein konnte, und biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Allein für einen solchen Gedanken gehöre ich weggesperrt. Sie reißen unsere moralischen Grenzen ein, damit wir drüben funktionieren, aber wie zum Henker passt man sich hier wieder an? Jakob schloss seine Augen, bevor Sarahs Stimme ihn sanft aus seinen Gedanken befreite.
    „Alles in Ordnung, Jay?“ Sie strich ihm liebevoll über die Wange und zuckte zurück, als er sich unwillig wegdrehte.
    „Ja, was soll schon sein!“ Er versuchte, sich an Sarahs Frage zu erinnern, und fügte hinzu: „Es ist so ziemlich alles wahr, was das Klischee hergibt!“ Sarahs fragend-wartender Blick brachte ihn zu einem ehrlichen Lachen. Schon damals war sie diejenige gewesen, in deren Gegenwart er sich immer am unbefangensten gefühlt hatte. Es hatte nie eine Rolle gespielt, dass sie nur Halbgeschwister waren. Sie war seine Schwester und aus. Jakob erinnerte sich ganz im Gegensatz zu Paul nicht mehr an ihr früheres Leben in Deutschland. An seinen leiblichen Vater, der gestorben war, als er gerade zwei Jahre alt gewesen war. Paul hatte der Tod mit seinen acht Jahren härter getroffen. Er erinnerte sich an dieses Leben, an die Sprache. Er war in Deutschland in den Kindergarten gegangen, war dort eingeschult worden. Für Jakob existierte all das nur in den Geschichten seiner Mutter und seines Bruders. Dort, wo die Erinnerungen aus seinen ersten drei Lebensjahren sein sollten, gähnte ein tiefes schwarzes Loch. Seufzend stieß er die Luft aus. „Die meisten sind wohl, wie du

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