Stille Seele (German Edition)
Bruder!“ Sein Blick glitt anerkennend über Jakobs muskulösen Oberkörper und fiel dann wenig begeistert auf seine eher kümmerliche Oberarmmuskulatur. Dann zuckte er resigniert mit den Schultern und fügte hinzu: „Scheinst endlich erwachsen und vernünftig geworden zu sein. Vielleicht hatte Dad doch recht!“
„Womit recht?“ Jakob sah ihn irritiert an.
„Na ja, er hat sich ziemlich schwergetan, deine Entscheidung zu akzeptieren, aber irgendwann hat er gemeint, dass dir der ganze Militärquatsch vielleicht doch helfen könnte, deinen Weg zu machen. Bist vor der Sache ziemlich aus dem Ruder gelaufen!“ Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Für mich wäre das nichts, aber dir scheint es tatsächlich ganz gut bekommen zu sein!“
Jakob folgte Paul in den Hausflur und war sich nicht sicher, was er antworten sollte, also blieb er stumm.
Sarah war die erste, die ihn erblickte. Sie war also doch mit Paul zusammen gekommen. Sie quietschte lauthals, rappelte sich mühsam aus dem Schneidersitz hoch, um ihm im nächsten Moment in die Arme zu stürzen.
„Jay, wir wussten nicht, dass du kommst!“ Sie schob ihn auf Ar mlänge von sich weg und betrachtete ihn eingehend. Ihre Stirn legte sich in Falten und sie schob die Unterlippe vor, bevor sie sich die Locken aus dem Gesicht pustete und trocken bemerkte: „Du siehst echt scheiße aus, als hättest du seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geschlafen.“
Noch genauso gut im Beobachten wie schon damals. Verlegen fuhr Jakob sich über das Gesicht. Sie drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange und ließ sich wieder in den Schneidersitz sinken. Er sah, dass sie ihre Freude ihn wiederzusehen unterdrückte, um ihren Stan dpunkt glasklar zu übermitteln. Während sie auf das Buchcover in ihrem Schoss sah, fügte sie schnippisch hinzu: „Du hast auf die letzten Mails nicht geantwortet. Mom und Dad haben sich Sorgen gemacht. Du hättest uns Bescheid sagen können, dass du kommst.“ Sie versuchte gar nicht erst, den vorwurfsvollen Unterton zu verbergen.
Jakob sah von ihr zu seinen Eltern. Sie standen nur wenige Schritte von ihm entfernt und starrten ihn stumm an. Seiner Mutter liefen Tr änen die Wangen hinab, aber keiner der beiden machte einen Schritt auf ihn zu. Es schien, als hätten sie Angst, er könnte sich in Luft auflösen, sobald sie ihn anfassen würden.
Vorsichtig und etwas unbeholfen schlang Jakob seine Arme um den Hals seiner Mutter. Er spürte, wie ihr Körper sich unter einigen Schluchzern schüttelte und konnte nichts dagegen tun, dass er statt Mitleid nur Unwohlsein empfand. Er liebte sie, aber er hatte keine Ahnung, wie er mit diesem Gefühlsausbruch umgehen sollte. Seine Jugendzeit und die Trennung der letzten Jahre hatten sie weiter vone inander entfernt, als gut und richtig war. Krampfhaft versuchte Jakob, das Positive zu sehen. Sie freuen sich und das ist doch etwas, oder nicht?
Leise murmelte er: „Es tut mir leid, Mom!“ Er seufzte leicht. „Es war schwierig, Kontakt aufzunehmen, und mein Urlaub war ‘ne eher spontane Sache!“
Die Stimme seines Vaters klang traurig und dunkel. „Spontan? Der einzige Grund für einen spontanen Urlaub bei der Army ist eine Verletzung!“ Er riss die Augen auf, als wäre die Bedeutung seiner Worte erst jetzt bis in sein Gehirn vorgedrungen.
„Ich bin okay!“
Erleichtert klopfte Jackson ihm auf die Schulter und Jakob unterdrückte das Bedürfnis, vor Schmerz zusammenzuzucken. Es gelang ihm nur mäßig. Er spürte, wie seine Augenlider trotzdem unkontrolliert zuckten und sah, dass es seinem Vater nicht verborgen blieb.
„Was ist passiert?“
Es hatte keinen Sinn, etwas zu leugnen, das sein Vater längst bemerkt hatte. Also schlug Jakob die Augen nieder, fuhr sich über die kurzen Haare und erwiderte: „Ich habe einen Streifschuss abbekommen.“ Eilig fügte er hinzu: „Nichts Schlimmes. Es geht schon wieder!“ Dabei vermied er es, aufzusehen. Schon damals war er ein miserabler Lügner gewesen und hatte im Gegensatz zu Paul jedesmal die volle Ladung Vorwürfe und Strafen abbekommen, wenn sie etwas angestellt hatten.
„Nur ein Streifschuss?“
Er nickte. „Es ist nicht schlimm!“ Jakob spürte, dass sein Vater ihm nicht glaubte, und zog sein letztes Ass aus dem Ärmel. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass die Sache nach hinten losging. Er hob den Kopf und sah seinem Vater offen in die Augen. Es kostete ihn einige Anstrengung, sich nichts anmerken zu lassen, aber es schien sich
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