Stille Seele (German Edition)
Torres schuldig! Er hat es nicht geschafft und er hat ein kleines Mädchen und ‘ne Frau! Ich habe es ihm versprochen, verstehst du?“
Sarah strich ihm liebevoll durch die Haare. „Du hast dich verä ndert.“
„Ich weiß!“ Jakobs Stimme klang dunkel und hart. Er nahm an, dass seine Schwester es als Kompliment gemeint hatte, aber er wusste im Gegensatz zu ihr genau, zu was für einem Menschen er geworden war. Alles, was sie in ihm sahen, war die Lüge, die er lebte, seitdem er wieder in den Staaten war. Es entsprach nicht dem Menschen, der er tief in sich selbst war. Es zeigte nicht die dunklen Flecken auf seiner Seele, die Stille in sich, aber Jakob würde daran arbeiten, dass er wi eder der Mensch werden würde, der er sein wollte. Für sich, für seine Familie und für eine unbelastete Zukunft.
19. Juni 2005, Abreise Jabehill
„Musst du wirklich gehen?“ In den Augen seiner Mutter standen Tränen und ihre Mundwinkel zitterten, während ihre Hand unaufhö rlich über seinen Arm strich, ohne dass sie näher an ihn herantrat.
Jakob hätte die Distanz zwischen ihnen gerne überwunden, aber es fiel ihm schwer, und so nickte er nur und drückte seiner Mutter uns icher einen flüchtigen Kuss auf beide Wangen. „Ich muss diesen Brief bei Torres Frau abgeben. Das bin ich ihm schuldig!“
Sein Vater machte einen Schritt auf ihn zu. „Du könntest ihn auch schicken! Die Post funktioniert hier in den Staaten ganz gut!“ Der Versuch, die Lage durch einen Witz aufzulockern, klang hohl und ungeschickt.
Jakob schüttelte den Kopf. „Würdest du meinen Brief per Post haben wollen?“
Er sah, wie sein Vater kaum merklich zurückzuckte, und die Worte, die ihm auf der Zunge gelegen hatten, unausgesprochen hinunte rschluckte.
„Sie wird Fragen haben, und die kann nur ich ihr beantworten! Ich war dabei, als er gestorben ist, und ich bin es ihm schuldig! Er hätte dasselbe für mich getan!“ Jakob senkte den Blick. „Ich komme ja wieder!“ Er würgte die Worte hervor und fragte sich, ob sie wussten, dass er log, und falls ja, wieso. Hatten sie eine Ahnung, was in ihm vorging? Das Bedürfnis, sich ihnen einfach zu öffnen, wurde für den Bruchteil einer Sekunde übermenschlich groß, bevor Scham und U nsicherheit es überdeckten und im Keim erstickten.
Jakob schluckte und schüttelte kaum merklich den Kopf. Er musste jetzt stark sein und diesen letzten Schritt in Bezug auf seine Familie genauso konsequent durchziehen wie seine trotzige Abreise vor zwei Jahren. Connor erwartete ihn bereits in Lincoln, von wo aus sie g emeinsam nach Texas fahren würden, um den Brief zu überbringen, und dann würden sie verschwinden, damit sie nie wieder in diese Hölle zurück mussten.
„Danke, dass du mir deinen Wagen leihst, Mom. Ich bringe ihn dir heil wieder!“ Er beugte sich zu ihr herunter, gab ihr einen Kuss und ignorierte dabei ihre Tränen. Steif umarmte er auch seinen Vater, drückte seine beiden Geschwister hastig an sich und blickte nicht zurück, als er in den Wagen stieg und davonfuhr.
21. Juni 2005, Lincoln, Nebraska, Busbahnhof
„Also, Connor, hast du alles?“ Jakob hielt am Busbahnhof von Li ncoln, Nebraska und wartete, bis Connor seine Taschen auf der Rückbank verstaut hatte und sich auf den Beifahrersitz plumpsen ließ. „Hast du dich verabschiedet?“
Connors Gesicht war blass. Einzig die immer noch verheilende Narbe an seinem Hals schimmerte blass rot in der Abenddämmerung. Sein Blick war traurig und stumpf, als er zaghaft nickte. Er biss die Zähne aufeinander und Jakob sah, wie Tränen seine Wangen hinabli efen. Connor drehte den Kopf zum Fenster und versuchte, es zu verbergen, während Jakob den Motor startete.
Sie fuhren eine kleine Ewigkeit, bis Connor ihn von der Seite a nsah.
„Du bist mein Freund, oder?“
Jakob nickte.
„Dann kann ich dir etwas sagen, ohne dass du mich für verrückt hältst?“
Wieder nickte Jakob stumm und hörte, wie Connor seufzte. Er suchte offenbar nach den passenden Worten und Jakob hatte das Gefühl, ihn ermutigen zu müssen. „Wir desertieren zusammen, du kannst mir alles sagen!“
„Okay, Prinzessin!“ Connor grinste schwach. „Wenn ich irgen dwann sterben sollte, möchte ich, dass du mich zurückbringst.“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Ich möchte wenigstens dann nach Hause
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