Stille Seele (German Edition)
anders als sonst. Nicht, dass diese Flashbacks jemals angenehm waren, aber im Normalfall legten sie einen nie so nachträglich lahm. Was war passiert?
Es fiel ihm schwer, nachzudenken. Ein dumpfer Schmerz pochte durch seinen Schädel. Jakob sah, wie Julie nach einem sauberen K üchentuch angelte und es anstelle ihrer Hand auf seine Stirn presste. Es färbte sich binnen Sekunden hellrot. Er hatte sich also den Kopf angeschlagen. Das erklärte wenigstens, wieso er so weggetreten war. Jakob schloss die Augen und atmete keuchend mehrmals ein und aus, konnte aber nichts gegen die Bilder tun, die gemeinsam mit dem Bild des blutdurchtränkten Stoffes auf ihn einschossen. Verbrannte Erde, versengte Haut, Blut und Tod. Wie aus weiter Ferne hörte er Julie, die mit Panik in der Stimme nach Hilfe rief.
„Er verliert das Bewusstsein. Hilf mir doch bitte jemand. Stan, wir müssen ihm helfen. Er krampft, scheiße, okay.“
Jakob spürte ihren Körper an seinem, als sie ihn auf ihren Schoß zog und seinen Kopf mit ihren Armen umschlang.
„Stan, leg seine Füße hoch. Mach doch mal jemand die Tür auf. Er braucht frische Luft!“
Ihr Gesicht erschien verschwommen vor seinen Augen. Sie roch mild, frisch und ein wenig wie die saubere Luft an einem perfekten Sommertag. Ihr Haar streifte sein Gesicht und er spürte ihre Lippen an seinem Ohr. „Jay, mach jetzt nicht schlapp, hörst du. Ich bin hier. Ich bleibe bei dir!“ Etwas Feuchtes durchnässte seine Haare – Tränen. Sie weinte. Um ihn? In diesem Moment wünschte er sich, es wäre so. Jakob wünschte, es würde nichts zwischen ihnen stehen und sie könnte ihn einfach lieben. Er wünschte, er wäre nicht allein und es gäbe einen Menschen, dem er wichtig wäre. Einen Menschen, den er noch nie enttäuscht hätte und bei dem er alles richtig machen konnte. Verstört blinzelte er und sah ihr tief in die Augen. Der Wunsch, sie könnte dieser Mensch sein, wurde unerträglich und die Kraft, seine eigenen Tränen noch länger zurückzuhalten, verließ ihn. Das Bild von Julies Gesicht über seinem verschwamm hinter einem Tränenschleier, während seine Hand ihre suchte und wenig später ihren beruhigenden Druck spürte.
Jakob musste das Bewusstsein verloren haben, denn an den Weg von der Bar zur Praxis von Dr. Peters konnte er sich nicht erinnern. Ebenso wenig wie an das Eintreffen des Arztes oder an William, der jetzt neben seinem Bett stand und sich leise mit dem Arzt unterhielt.
„Will, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Seine Verletzu ngen sind rein oberflächlicher Natur. Das erklärt nicht, wieso er einfach umgekippt ist und wieso er das Glas in seiner Hand zerdrückt hat. Mir wäre es lieber, wir würden ihn ins Krankenhaus bringen, um weitere Tests zu machen.“
„Ja, vielleicht hast du recht. Wir sollten auf jeden Fall seine Eltern informieren. Er hat keine Papiere und er braucht die Daten seiner Krankenversicherung. Schöne Scheiße! Armer Kerl. Das ist irgende twas zwischen ihm und seinen Eltern. Er hat wirklich hart dafür gekämpft, es alleine zu schaffen, und jetzt so etwas!“
Doktor Peters legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Ist nicht deine Schuld, Will. Du kannst nichts dafür, dass er sich ausgerechnet deine Bar für seinen Zusammenbruch ausgesucht hat!“
Jakob hob vorsichtig seinen Arm und war erstaunt, wie leicht es ihm fiel. Nach seinem Zusammenbruch hatten selbst die minimalsten Dinge nicht mehr funktioniert und jetzt fühlte es sich an, als wäre er schwerelos.
„Ah, unser Patient beehrt uns wieder mit seiner Anwesenheit.“ Doktor Peters beugte sich leicht über Jakob und leuchtete ihm mit einer kleinen Taschenlampe erst zweimal ins rechte, dann ins linke Auge. Er nickte zufrieden, machte sich einige Notizen und nickte dann erneut. Freundlich und mit einer beruhigenden Art, die er sich in den langen Jahren seiner ärztlichen Tätigkeit angewöhnt haben musste, lächelte er Jakob an. „Wissen Sie, was passiert ist, Mister Atkins?“
Jakob nickte und war erstaunt, dass die Bewegung keine Schmerzen verursachte. Er versuchte es mit einem vorsichtigen Lächeln.
„Fühlt sich fast an wie fliegen, nicht wahr?“ Peters sah ihn über den Rand seiner wenig modischen Brille hinweg an. „Ich habe Ihnen ein Muskelrelaxans gegen die Krampfanfälle gegeben und ein einigerm aßen starkes Schmerzmittel. Eine nette Mischung, für die man auf dem Schwarzmarkt bestimmt einiges verlangen könnte.“ Er grinste Jakob vergnügt an.
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