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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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Juli 2006, Williams Bar & Restaurant
     
     
    Jakob stand am Tresen und sah Julie zu, die mit dem Rücken zu ihm stand und eine Bestellung aufnahm, während er Gläser polierte. Es war kurz vor Mitternacht, aber wegen einer Feier im Nachbarort war die Bar verhältnismäßig leer. Julies und sein Verhältnis war merkwürdig seit der Feier vor einer Woche. Jakobs Mundwinkel verzogen sich zu einer Grimasse, als er an seine Entschuldigung bei Casper dachte. Es hatte ihn all seine Kraft gekostet, sich dazu zu überwinden, aber es war richtig und notwendig gewesen. Er hätte es in jedem Fall tun müssen, nicht nur um Julies Willen, obwohl genau das die treibende Kraft gewesen war. Bis jetzt wusste Jakob nicht, ob Cas die Entschuldigung wirklich ernstgenommen hatte. Er hatte ihm zwar die Hand geschüttelt und in knappen Sätzen geantwortet, aber die kühle Distanz zeigte, was er im Stillen von Jakob hielt. Julie hatte die Entschuldigung mitbekommen und das war erst einmal alles, was zählte. Gesprochen hatten sie allerdings nicht mehr über diesen Abend und es tat weh, zu sehen, dass jeder von ihnen sich ein Stück zurückgezogen hatte.
    Obwohl das auch für ihn selbst galt, machte es Jakob zu schaffen, sie wieder ein Stück zu verlieren. Jakob wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Nicht mit der Tatsache, dass sie ihm bereits viel zu nahegekommen war und noch weniger mit der Tatsache, dass sie sich jetzt entfernte. Sie spürte instinktiv, dass etwas mit ihm nicht stimmte und ihre Reaktion darauf war verständlich und nachvollziehbar. Jakob hatte damit rechnen müssen und er hätte es verhindern können, wenn er sich nur etwas mehr zusammengerissen hätte. Wenn er sich weite rhin bemüht hätte, ihr und allen anderen, sich selbst eingeschlossen, etwas vorzuspielen. Das Problem war nur, dass er genau das nicht mehr wollte. Jakob wünschte sich nichts mehr, als sich ihr mitteilen zu können. Endlich die Kluft aus Unwissenheit zwischen ihr und sich zu schließen, indem er sich ihr anvertraute, aber der Preis dafür würde hoch sein – zu hoch.
    Es durfte nicht sein. Zum einen, weil er Angst hatte, sie könnte ihn für das hassen, was er getan hatte, und zum anderen, weil er ihr nicht die Last aufbürden wollte, sein Geheimnis mitzutragen. Das wäre nicht fair gewesen. Immerhin war das hier seine Schuld und sein Kampf und nicht ihrer. Es war schwierig, sie haben zu wollen und im selben Moment das Bedürfnis zu haben, sie von sich zu stoßen, um sie und sich selbst zu schützen. Er fühlte sich zu ihr hingezogen – auf eine irritierende, intensive Art und Weise. Ein unsicheres Lächeln huschte über sein Gesicht, als plötzlich das Klirren von Glas zu hören war.
    Einer der Gäste hatte im betrunkenen Zustand den Tisch gestreift und das darauf stehende Glas umgestoßen. Cola ergoss sich schäumend über den Tisch und das Glas zerschellte gleich darauf auf dem Boden. Jakob spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufstellten und er unwillkürlich anfing zu zittern. Ihm war plötzlich kalt und ein pochender Kopfschmerz zuckte durch seinen Schädel. Grelle Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen, als der Flashback wie eine Welle auf ihn zu donnerte. Jakob bemühte sich verzweifelt, sich nichts anmerken zu lassen, und klammerte sich am Rand der Theke fest. Der letzte Flashback war eine ganze Weile her und er hatte sich bemüht, zu verdrängen, dass es ihn überhaupt gegeben hatte. Er hatte daran glauben wollen, dass er mit der Vergangenheit abgeschlossen hatte. Dass die Schlafstörungen und die Leere in ihm einen anderen Ursprung hatten. Vielleicht wühlte Julie ihn so sehr auf, dass dadurch andere unerwünschte Dinge mit ans Licht kamen, vielleicht war es nur das Zerschellen des Glases, das als Auslöser genügt hatte.
    Wahrscheinlich aber war es die Summe aller Faktoren, die die Bar scheinbar erzittern und die Wände der Realität einstürzen ließ. Das Bild vor seinen Augen verschwamm. Jakob hörte aufgebrachte Sti mmen. Schreie, weinende Kinder und das Bersten von Glas und Porzellan auf dem Fußboden eines afghanischen Wohnzimmers. Heftig atmend kniff er die Augen zusammen und versuchte, irgendetwas zu materialisieren, das ihn wieder zurück nach Marble Hills gelangen lassen würde. Ein Geruch, ein Geräusch, das ihn wieder zurück zu Julie und in Sicherheit bringen würde, aber es gelang ihm nicht. Sein stoßweise gehender Atem pumpte staubige, modrig riechende Luft in seine Lungen. Der Gestank von Urin mischte sich

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