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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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darunter.
    Jakob stöhnte. Er hörte Ben schreien, Fletscher, der in gebrochenem Dari sprach und sah den Hass, den sie alle säten, indem sie die Spirale aus Gewalt und Vorurteilen weiter nährten. Jakobs Finger krampften sich um die Waffe in seinen Händen. Er hatte Angst, ihm war schwi ndelig. Ihm wurde bewusst, dass er sich setzen musste, sonst würde er die Kontrolle verlieren. Undeutlich spürte er, wie sein Rücken an der Wand zum Fußboden hinabglitt. Das Weiße seiner Knöchel trat hervor und plötzlich war da Blut. Sein eigenes. Es lief ihm in Rinnsalen über die Hand und tropfte auf seine Hose und den Boden. Der Schmerz war real. Ungläubig starrte er auf die tiefe Schnittwunde in seiner Handinnenfläche.
    Das Bild zerplatzte und machte der Realität Platz. Jakob sah Julie, die sich besorgt über ihn beugte. Verstört irrte sein Blick über ihr Gesicht, seine Wunde und die Scherben eines kaputten Glases neben sich. Reste von Splittern steckten in der Wunde. Er war wieder in Williams Bar. Sein Rücken lehnte an dem Kühlschrank hinter dem Tresen. Die Kälte, die von dem Metall ausging, fraß sich durch die obersten Hautschichten und ließ ihn erzittern. Trotzdem hätte er vor Glück am liebsten angefangen zu weinen. Mühsam riss er sich z usammen und versuchte, sich zu orientieren. Es dauerte, bis er den Sinn hinter Julies Lippenbewegungen begreifen konnte. Jakob verstand die Worte nicht, bis endlich auch der Ton zu dem realen Bild wiederkehrte.
    „Ist alles okay? Ich rufe Dad an. Schaffst du es solange? Bleibe ei nfach ganz ruhig sitzen. Bloß nicht bewegen! Stan? Stan!“ Sie klang panisch, was Jakob irgendwie wunderte. Julie klang nie panisch. Das passte nicht zu ihr.
    Stan erschien hinter dem Tresen und wirkte ehrlich erschüttert.
    „Stan, hilf mir. Ich rufe Dad an. Pass du solange auf Jay auf!“
    „Müssen wir das nicht irgendwie verbinden? Ich meine, scheiße, er blutet wie sau!“ Stan kniete sich unbeholfen neben Jakob und legte ihm seine Pranke auf die Schulter. Beruhigend streichelte er ihm über den Nacken und wischte sich dabei mit der anderen Hand über das aschfahle Gesicht.
    Julie stand ungeduldig neben der Theke und sah aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. In der einen Hand hielt sie das Telefon, die andere lag zitternd über ihrem Mund. Dieser Gesichtsausdruck machte Jakob zu schaffen. Sie wirkte mit einem Mal verletzlich, fast schon kindlich. Sie hatte ganz offensichtlich Angst – um ihn.
    Das war doch völlig absurd. Er hatte sich in die Hand geschnitten, na und? Es tat weh und blutete, sogar ziemlich stark, aber das war doch kein Grund, so durchzudrehen. Jakob wollte aufstehen. Ihnen sagen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, aber sein Körper reagierte nicht, und außer einem trockenen Krächzen brachte er nichts heraus.
    Stans warme Hand fixierte ihn. „Du rührst dich nicht, hast du mich verstanden?“ Jakob nickte, obwohl er ihm lieber widersprochen hätte.
    „Wir müssen die Blutung stoppen, Julie. Er ist total blass. Vie lleicht ist es etwas mit dem Herzen. Ich meine, er ist einfach umgekippt. Herrgott, er ist zweiundzwanzig, da kippt man doch nicht einfach um.“
    „Stan, hör bitte auf zu jammern. Ich weiß doch auch nicht, was ich machen soll. Ich meine, da steckt immer noch Glas drin, da können wir doch nichts drumbinden.“ Sie schloss für einen kurzen Augenblick dankbar die Augen, als die Stimme ihres Vaters am anderen Ende der Leitung erklang. „Dad, du musst kommen, bitte! Jakob ist zusamme ngebrochen. Er hat sich die Hand aufgeschnitten und er blutet. Er sieht total schlecht aus. Ich weiß nicht, was ich machen soll, und das Glas steckt noch drin und …!“ Tränen flossen über ihr Gesicht. Sie schluchzte auf. „Ja, ist gut. Danke, Dad!“
    Sie kniete sich wieder neben ihn und legte ihm ihre Hand auf die Stirn. „Dad kommt sofort und er bringt den Doc mit. Sie bringen dich ins Zentrum in Doktor Peters Praxis.“
    Seine Stimme klang fremd und egal, wie sehr er es auch versuchte, ihr mehr Kraft zu verleihen, sie blieb dünn wie Papier – sein Protest schwach und ohne Nachdruck. „Ich brauche keinen Arzt!“ Er hustete trocken und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Die ansonsten attraktiven Grübchen ließen ihn noch kläglicher wirken. „Es geht mir gut. Habe mich nur geschnitten!“ Mühsam versuchte er, sich etwas mehr aufzusetzen, aber noch immer verschwamm das Bild vor seinen Augen von Zeit zu Zeit. Irgendetwas war

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