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Stille Sehnsucht

Stille Sehnsucht

Titel: Stille Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathilda Grace
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über Kilians Gesicht wandern, weiter hinunter zu seinen Fingern, die immer noch mit dem Ring spielten. Irgendetwas fehlte. Niko runzelte die Stirn und überlegte, was ihn an dem Bild störte. Farben. Oder besser gesagt, das Fehlen selbiger. Genau. Das war es und er hatte es schon vor Wochen bemerkt, aber nicht zuordnen können. Niko sah zu Kilian hoch.
    „Was ist?“, fragte Kilian irritiert, als er seinen Blick bemerkte.
    „Du hast keine Farbe an deinen Fingern“, antwortete Niko, und als Kilian daraufhin seinem fragenden Blick auswich, war ihm auf einmal alles klar. „Du malst nicht mehr, oder?“
    Nach Alex' Tod hatte Kilian wochenlang nicht malen können und dann war er entführt worden. Für Niko war es verständlich gewesen, dass Kilian danach ganz andere Sachen im Kopf gehabt hatte, als Pinsel und Farben, aber es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass Kilian solche Probleme mit seiner Kunst hatte.
    Kilian seufzte und drehte ihm den Rücken zu „Wer hat es dir gesagt?“
    „Niemand“, antwortete Niko und wollte Kilians Hand nehmen, aber der wich kopfschüttelnd einen Schritt zur Seite. „Wirklich. Niemand hat etwas gesagt, und es wäre mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn du nicht so saubere Finger hättest.“ Niko überlegte, denn jetzt, wo er gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte, erinnerte er sich auch an weitere Kleinigkeiten und war entsetzt, als er begriff, wie schlimm es in Wirklichkeit war. „Du hast immer gemalt, seit ich dich kenne. Wenn nicht mit dem Pinsel oder Stift in der Hand, dann mit deinem Kopf und das hat man dir angesehen. Du hattest immer so einen bestimmten Blick, als wärst du in einer anderen Welt. Der ist mit Alex verschwunden... Mein Gott, du malst seit Alex' Tod nicht mehr?“
    „Nein“, gab Kilian nach einer gefühlten Ewigkeit zu. „Ich kann es nicht mehr.“
    „Kilian...“
    Kilian sah ihn an und Niko verstummte abrupt, denn die tiefe Sehnsucht in den blauen Augen seines Bruders im Geiste sagte alles. „Ich habe es versucht, glaub' mir. Immer und immer wieder. Es geht nicht. Ich sitze vor der Leinwand oder dem Block und es passiert nichts. Ich bin völlig blockiert.“
    Niko wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste, wie viel Kilian das Malen bedeutete und er konnte sich nicht einmal im Traum vorstellen, wie Kilian sich fühlte. Ein Künstler, der seine Kunst nicht ausüben konnte. Gab es etwas Schlimmeres? Für Kilian vermutlich nicht, dachte Niko und überlegte verzweifelt, was er sagen konnte. Ein paar aufmunternde Worte oder vielleicht ein Ratschlag. Irgendetwas, das sich hoffentlich nicht dumm anhörte.
    „Weiß Dale Bescheid?“, fragte Niko leise und seufzte, als Kilian das Gesicht verzog und zu Boden schaute. Also nicht. „Könnte eine Therapie dir vielleicht helfen?“
    Kilian zuckte die Schultern. „Habe ich hinter mir, das weißt du doch. Hat nichts gebracht.“
    „Ich meine nicht wegen deiner Entführung, sondern wegen Alex' Tod“, sagte Niko, denn wenn der Tod seines Bruders der Auslöser war, half es vielleicht, wenn Kilian sich genauer damit auseinandersetzte.
    „Oh, du meinst, so wie du mit Alex' Tod klarkommst, indem du ihn seit seiner Beerdigung ignorierst. Ich habe jedenfalls keine frischen Blumen von dir auf Alex' Grab gesehen, als ich das letzte Mal dort war.“
    Niko zuckte zusammen, denn Kilians bissiger Tonfall überraschte ihn. Er presste die Lippen aufeinander und schwieg, weil er Kilian nicht erzählen wollte, dass er über Alex schon mit Tyler gesprochen hatte. Außerdem wollte er sich nicht mit Kilian streiten und irgendwie schien der plötzlich genau das vorzuhaben.
    „Wie ich mit Alex' Tod umgehe, ist meine Sache, nicht deine“, sagte Niko und versuchte ruhig zu bleiben. „Und nur, weil ich nicht jede Woche nach Phily fliege und ihn besuche, heißt das nicht, dass ich ihn ignoriere.“
    „Wie oft warst du dort, seit er tot ist?“
    Niko warf Kilian einen warnenden Blick zu. „Das geht dich überhaupt nichts an!“
    „Das dachte ich mir“, zischte Kilian, stieß sich von der Brüstung ab und verschwand mit schnellen Schritten im Treppenhaus, bevor Niko noch etwas dazu sagen konnte.
    Niko seufzte leise und stützte sich auf seinen Ellbogen auf, um das Gesicht in beiden Händen zu vergraben. Die Nerven lagen bei allen blank, das war nichts Neues für ihn, aber was eben passiert war, hätte nicht sein müssen. Er würde später erneut versuchen, mit Kilian zu reden. Niko richtete sich wieder auf und rieb sich

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