Stille Sehnsucht
Arbeitsfläche. „Du magst Mik sehr, oder?“
„Ja, ich mag ihn. Er erinnert mich an dich.“ Tyler sah ihn kurz an und widmete sich danach dem Rest seines Puddings. „Ich frage mich, wie du in dem Alter aussehen und wie du charakterlich sein wirst.“
Niko spürte, wie er rot anlief, und räusperte sich. War das etwa ein Kompliment gewesen? „Ähm...“
„Willst du bei mir schlafen?“
Der Themenwechsel kam so abrupt, dass Niko einen Moment brauchte, um hinterher zu kommen. Aber dann schüttelte er den Kopf. Es zog ihn zurück ins Hotel. Niko wollte allein sein. Nachdenken. Auf Adrian wütend sein. Sich bald wieder nach Tyler sehnen. Weiter nachdenken. Irgendwie eine Lösung für das alles finden, obwohl das unmöglich schien.
Ihm blieben nur noch wenige Stunden, bis die Woche um war und Niko hatte nicht die geringste Ahnung, was er Mikael morgen sagen sollte.
„Erzähl' Mik die Geschichte.“
„Alex...“
„Tyler hätte dir niemals diese verdammte Schonfrist geben dürfen. Seit Tagen tust du nichts anderes mehr, als darüber nachzugrübeln, wie du aus der Sache noch rauskommst, statt dich darüber zu freuen, dass du das Ganze endlich los wirst. Hör' auf, gegen unsere Familie zu kämpfen, Niko. Sie wollen doch nur helfen.“
Niko schnaubte. „Ja, sicher. So wie Adrian, indem er mir Vorwürfe macht.“
„Die schlicht wahr sind, Niko, so ungern du das auch hörst. Adrian hat mit allem Recht. Mit jedem einzelnen Wort, sieh es ein.“ Alex stand am Fußende seines Bettes, die Hände in die Seiten gestützt, und sah ihn finster an. „Du bist ein Feigling, Niko!“
Niko stöhnte. „Jetzt wirst du kindisch. Aber wo wir schon dabei sind, ehrlich zueinander zu sein... Warum hast du dir die Pulsadern aufgeschnitten?“
„Was?“ Alex ließ langsam die Arme sinken und sah ihn verblüfft an. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Versuch' nicht abzulenken, so schwer ist die Frage nicht, aber ich wiederhole sie natürlich gern für dich, großer Bruder: Warum hast du dir letztes Jahr einfach die Pulsadern aufgeschnitten?“ Niko setzte sich im Bett auf, in einen Schneidersitz, um mit dem Finger auf Alex zu zeigen, dessen Blick sich bedenklich verfinstert hatte. „Du wusstest, dass keiner von uns dieses Bild je wieder aus dem Kopf bekommen würde. Vielleicht bin ich jetzt wirklich kindisch, aber wieso dieser Weg? Hättest du es nicht irgendwie anders machen können? Von einer Brücke springen. Eine Überdosis. Irgendwie anders, als diese verdammte Badewanne voller Blut und...“
„Ich musste sichergehen, dass es funktioniert.“
Niko blinzelte irritiert, denn er hatte eigentlich damit gerechnet, dass Alex versuchen würde, sich irgendwie um eine Antwort zu drücken. „Wie meinst du das?“
Alex seufzte. „Du weißt doch, dass ich zuletzt kaum noch meine Medikamente vertrug. Die Gefahr, dass ich mich übergebe und es nicht funktioniert, war einfach zu groß. Und was deine anderen Vorschläge betrifft, ich hätte auch das überleben können.“ Alex sah ihn traurig an. „Mir war klar, was das für euch bedeutet, aber ich wollte von euch gefunden werden, nicht irgendwo unter einer dreckigen Brücke. Egoistisch, ich weiß.“
„Also hast du einfach so beschlossen, dass wir damit klarkommen, wenn wir deine Leiche finden?“
„Ja.“
Die Kaltschnäuzigkeit in Alex' Stimme gab Niko den Rest. Er verlor die Beherrschung. „Du hattest kein Recht dazu!“, schrie er wütend. „Immer bist du mit dem Kopf durch die Wand, anstatt vorher darüber nachzudenken, was du tust. Du hast uns eiskalt die Zeit gestohlen, Alex. Wir hätten noch viele Wochen haben können, vielleicht sogar Monate, aber du hast du dir lieber die Pulsadern aufgeschnitten. Wieso, Alex?“
„Manche Dinge kannst du nicht beeinflussen. Es war meine Entscheidung zu sterben, so wie es deine ist, bald das Richtige zu tun und unsere Familie einzuweihen, damit sie...“ Alex brach mitten im Satz ab, seine Augen weiteten sich und er sah abrupt zur Tür. „Du musst jetzt aufwachen. Du hast Besuch.“
„Was?“, fragte Niko verdutzt.
„Wach auf!“
Niko blinzelte in die Dunkelheit seines Hotelzimmers. Mist, er hatte wieder von Alex geträumt und sich mit ihm über seinen Selbstmord unterhalten. Himmel. Was ging nur in seinem Kopf vor, dass er sich in seinen Träumen ausgerechnet über solche Themen unterhielt? Und sich darüber stritt, erinnerte sich Niko und verwünschte Alex' Sturkopf, der seinem Eigenen so ähnlich war.
Wie kam
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