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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ich gerade neulich von ihr gehört habe, nachdem ich sie längst aufgegeben hatte, kann ich das Folgende erzählen. Nur ist die Geschichte jetzt wegen gewisser Dinge, die mir inzwischen klargeworden sind, noch komplizierter geworden.
    Ich möchte am Rande bemerken, daß mir mein Leben wie eine einzige Suche nach der Mara erscheint, die alle die anderen verschlingen und ihnen bedeutungsvolle Wirklichkeit verleihen würde.
    Die Mara, welche die Ereignisse herbeiführte, war weder die Mara von den Champs-Élysées noch die Mara von der lle St-Louis. Die Mara, von der ich spreche, hieß Eliane. Sie war mit einem Mann verheiratet, der im Gefängnis saß, weil er Falschgeld in Umlauf gebracht hatte. Sie war auch die Geliebte meines Freundes Carl, der zuerst leidenschaftlich in sie verliebt gewesen war und jetzt, an jenem Nachmittag, von dem ich spreche, ihrer so überdrüssig war, daß er den Gedanken nicht ertragen konnte, sie allein aufzusuchen.
    Eliane war jung, schlank und anziehend, nur daß sie reichlich mit Leberflecken gesprenkelt war und einen dichten Flaum auf der Oberlippe hatte. In den Augen meines Freundes erhöhten diese Mängel anfangs nur noch ihre Schönheit, aber als er ihrer müde wurde, störten sie ihn und veranlaßten ihn manchmal, sarkastische Witze darüber zu machen, die sie zusammenzucken ließen. Wenn sie weinte, wurde sie merkwürdigerweise schöner denn je. Mit ihrem von Tränen überströmten Gesicht sah sie wie eine reife Frau und nicht wie das schmächtige, zwitterartige Wesen aus, in das Carl sich verliebt hatte.

     
    Elianes Mann und Carl waren alte Freunde. Sie hatten sich in Budapest kennengelernt, wo er Carl vor dem Verhungern gerettet und ihm später das Geld gegeben hatte, nach Paris zu gehen. Die Dankbarkeit, die Carl zunächst dem Mann gegenüber empfand, schlug bald in Verachtung und Hohn um, als er entdeckte, wie dumm und gefühllos der Bursche war. Zehn Jahre später begegneten sie sich zufällig in Paris auf der Straße. Die Folge war eine Einladung zum Essen, die Carl nie angenommen hätte, wenn der Ehemann nicht mit einer Fotografie seiner jungen Frau geprahlt hätte. Carl hatte sofort Feuer gefangen. Sie habe ihn, so erzählte er mir, an ein Mädchen namens Marcienne erinnert, über die er zu jener Zeit schrieb.
    Ich erinnere mich noch gut, wie die Geschichte von Marcienne gedieh, als seine heimlichen Zusammenkünfte mit Eliane immer häufiger wurden. Er hatte Marcienne nur drei- oder viermal nach ihrer Begegnung im Wald von Marly gesehen, wo er sie in Begleitung eines schönen Windspiels getroffen hatte. Ich erwähne den Hund nur, weil er, als Carl sich zuerst mit der Geschichte herumschlug, für mich weit mehr Wirklichkeit hatte als die Frau, in die er angeblich verliebt war.
    Als Eliane in sein Leben trat, begann Marciennes Gestalt Form und Substanz anzunehmen. Er stattete Marcienne sogar mit einem von Elianes überflüssigen Leberflecken aus - dem an ihrem Nacken, der ihn, wie er sagte, jedesmal, wenn er ihn küßte, besonders leidenschaftlich erregte.
    Einige Monate lang hatte er nun das Vergnügen, alle schönen Leberflecke Elianes zu küssen, einschließlich den am linken Bein, oben nahe beim Spalt. Aber sie konnten ihn nicht mehr entflammen. Er hatte die Geschichte von Marcienne beendet - und damit war auch seine Leidenschaft für Eliane verraucht.
    Den Schlußstrich zog die Verhaftung und Verurteilung des Ehemannes. Solange der Ehemann auf freiem Fuß war, hatte wenigstens der Reiz der Gefahr bestanden. Jetzt, wo er hinter sicheren Gittern saß, sah sich Carl einer Geliebten gegenüber, die zwei Kinder aufzuziehen hatte und ihn begreiflicherweise als Beschützer und Ernährer ansah. Carl war nicht ungroßzügig, aber ein Ernährer war er gewiß nicht. Er hatte auch Kinder recht gern, muß ich sagen, aber er mochte nicht den Vater für die Kinder eines Mannes spielen, den er verachtete. Unter diesen Umständen schien es ihm das Beste, für Eliane eine Arbeit zu suchen - was er auch tat. Wenn er abgebrannt war, aß er bei ihr. Hin und wieder beklagte er sich, daß sie zu hart arbeite und ihre Schönheit ruiniere. Insgeheim war er es natürlich zufrieden, denn eine von Müdigkeit erschöpfte Eliane stellte weniger Ansprüche an seine Zeit.
    An dem Tag, an dem er mich überredete, ihn zu begleiten, war er schlechter Laune. Er hatte an diesem Morgen ein Telegramm von ihr bekommen, in dem sie ihm mitteilte, daß sie den Tag über frei sei und daß er so bald wie möglich

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