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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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überzogen sei. Trotzdem zögerte er — oder tat wenigstens so. «Warum können die denn nicht bis morgen warten?» fragte er, an Adrienne gewandt. «Trauen sie uns etwa nicht?»
    «Warum sollten wir euch trauen», meinte eines der Mädchen. «Eben noch habt ihr behauptet, daß ihr nichts habt. Jetzt sollen wir bis morgen warten. Ah, nein, das kann man mit uns nicht machen.»
    «Na schön, dann könnt ihr euch alle rausscheren», sagte Carl und warf das Scheckbuch auf den Boden.
    «Sei nicht so gemein», schrie Adrienne. «Gib jeder von uns hundert Francs, und wir werden nicht mehr davon sprechen. Bitte!»
    «Jeder hundert Francs?»
    «Freilich», sagte sie. «Soviel ist das ja nicht.»
    «Komm, mach schon», warf ich ein, «sei nicht so knauserig. Außerdem werde ich dir meinen Anteil in ein oder zwei Tagen zurückzahlen.»
    «Das sagst du immer», erwiderte Carl.
    «Mach Schluß mit der Komödie», sagte ich auf englisch. «Schreib die Schecks aus, damit wir sie loswerden.»
    «Sie loswerden? Was, erst soll ich ihnen Schecks geben, und dann soll ich sie rausschmeißen? Nein, mein Lieber, ich will den vollen Gegenwert für mein Geld, auch wenn die Schecks nicht gedeckt sind. Sie wissen das ja nicht. Wenn wir sie ganz ungeschoren davonkommen lassen, riechen sie den Braten. He, du!» rief er und wedelte mit einem Scheck einem der Mädchen zu. «Was kriege ich dafür? Ich will etwas Tolles, nicht nur eine Nummer schieben.»
    Er machte sich daran, die Schecks zu verteilen. Es sah komisch aus, wie er ohne weitere Umstände Schecks in der Runde verteilte. Sogar wenn es richtige gewesen wären - sie sahen gefälscht aus. Vielleicht weil wir alle nackt waren. Auch die Mädchen schienen das Gefühl zu haben, daß es eine fragwürdige Transaktion war. Außer Adrienne, die an uns glaubte.
    Ich hoffte zu Gott, sie würden uns eine Szene machen, statt uns zu der üblichen Fickprozedur zu zwingen. Ich war einfach fertig. Hundemüde. Es würde eine harte Arbeit für sie werden, bei mir auch nur etwas, was einem Ständer ähnlich war, hervorzuzaubern. Carl dagegen benahm sich wie jemand, der wirklich dreihundert Francs hingeblättert hat. Er wollte etwas für sein Geld haben, und zwar etwas Ausgefallenes.
    Während sie sich untereinander besprachen, kletterte ich ins Bett. Ich war in Gedanken so weit von der Situation entfernt, daß ich die Geschichte weiter ausspann, die ich vor ein paar Tagen angefangen hatte und am nächsten Morgen weiterschreiben wollte. Sie handelte von einem mit einem Beil begangenen Mord. Ich fragte mich, ob ich versuchen sollte, die Erzählung zu straffen und sie auf den betrunkenen Mörder zu konzentrieren, den ich verlassen hatte, wie er neben dem kopflosen Leichnam der Frau saß, die er nie geliebt hatte. Vielleicht würde ich den Zeitungsbericht von dem Verbrechen verwenden, ihn kürzen und meine eigene Darstellung des Mordes an dem Punkt oder in dem Augenblick beginnen lassen, wo der Kopf vom Tisch rollte. Das würde gut zu der Stelle von dem arm- und beinlosen Mann passen, dachte ich, der nachts auf einem kleinen, mit Rädern versehenen Brett durch die Straßen rollte, den Kopf in gleicher Höhe mit den Knien der Passanten. Ich wollte ein bißchen Grauen, denn ich hatte eine wundervolle Burleske in petto, die ich als Schluß zu verwenden gedachte.
    In der kurzen Zeit, die mir zu träumen vergönnt war, hatte ich wieder zu der Stimmung zurückgefunden, die vor einigen Tagen durch das Auftauchen unserer somnambulen Pocahontas unterbrochen worden war.

     
    Ein leichter Rippenstoß von Adrienne, die sich neben mir Platz gemacht hatte, weckte mich. Sie flüsterte mir etwas ins Ohr. Wieder etwas von Geld. Ich bat sie, es zu wiederholen, und um nicht den Gedanken, der mir gerade gekommen war, zu vergessen, sagte ich vor mich hin: «Kopf rollt vom Tisch... Kopf rollt herunter... kleiner Mann auf Rädern... Räder... Beine... Millionen Beine...»
    «Sie möchten gern wissen, ob du nicht ein bißchen Kleingeld für ein Taxi hast. Sie wohnen weit weg.»
    «Weit weg?» wiederholte ich und sah sie abwesend an. «Wie weit weg?» (Vergiß nicht - Räder, Beine, Kopf rollt herunter... beginne mitten in einem Satz.)
    «Ménilmontant», sagte Adrienne.
    «Hol mir einen Bleistift und Papier - dort, auf dem Schreibtisch», bat ich.
    «Ménilmontant... Ménilmontant...» wiederholte ich hypnotisiert, kritzelte einige Stichworte hin wie Gummiräder, Holzköpfe, Korkenzieherbeine und so weiter.
    «Was tust du da?»

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