Stille über dem Schnee
Virginia?
Freitag müssen wir wieder nach Hause. Wir wollten den frühen Schnee dieses Jahr
nutzen, wissen Sie, vor den Massen, die nach Weihnachten immer anrücken.« Neben
meinem Vater sieht Steve aus wie auf Hochglanz poliert. »Und Sie? Laufen Sie
Ski?«
»Früher mal«, antwortet mein Vater.
»Ja, ich«, sage ich zur gleichen Zeit.
»Wir sind hier meistens mit Schneeschuhen unterwegs«, erklärt mein
Vater. »Im Wald.«
Steve schaut zum Fenster, als suchte er den Wald. »Schneeschuhlaufen«,
meint er überlegend. »Das würde ich auch gern mal versuchen.«
»Ja«, stimmt Virginia ein. »Ich wollte das schon immer mal
versuchen.«
»Ist bestimmt ganz schön anstrengend«, sagt Steve.
»Manchmal, ja«, bestätigt mein Vater.
»Na ja«, sagt Steve und läÃt den Blick wieder durch das Zimmer
schweifen. »Wir suchen einen Cocktailtisch. Und ich glaube, Virginia, wir haben
gefunden, was wir suchen.« Er tritt zu dem Tisch, den mein Vater gemacht hat,
und streicht mit der Hand über das bearbeitete Holz. Ich wüÃte gern, ob Steve
und Virginia der Tisch überhaupt interessieren würde, wenn nicht mein Vater ihn
gemacht hätte, wenn nicht mein Vater Frau und Kind verloren hätte, wenn mein
Vater nicht aussähe, als hätte er keinen Penny mehr in der Tasche.
»Was ist das für Holz?« fragt Steve.
»Kirsche«, antwortet mein Vater.
»Das ist dann also die natürliche Farbe«, sagt Steve. »Nicht
gebeizt.«
»Nein, das ist die Naturfarbe. Sie dunkelt mit der Zeit nach.«
»Ah, ja. Und womit ist die Oberfläche behandelt?«
»Das ist Wachs über Polyurethan«, sagt mein Vater.
»In welcher Klasse bist du?« fragt Virginia und nimmt einen
Lippenbalsamstift aus ihrer Handtasche, mit dem sie sich über die Lippen fährt.
»Ich bin in der siebten«, antworte ich.
Sie schnalzt mit den Lippen. »Dann bist du also â¦Â«â
»Zwölf.«
»Das ist ein gutes Alter.« Sie steckt den Lippenbalsam wieder ein.
»Was hast du in den Weihnachtsferien vor?«
Ich überlege einen Moment. »Meine GroÃmutter kommt zu Besuch.«
»Oh, das ist schön«, sagt Virginia. Sie schiebt den Riemen ihrer
Tasche über die Schulter. »Meine GroÃmutter hat zu Weihnachten immer
Pfeffernüsse gebacken. Kennst du die?«
Ich schüttle den Kopf.
»Also, wieviel soll er kosten?« fragt Steve meinen Vater.
»Sie schmecken göttlich«, erklärt Virginia. »Es sind kleine Kugeln,
die mit Honig und Gewürzen gemacht und dann in Puderzucker gerollt werden.«
Mein Vater räuspert sich. Ãber Geld zu reden ist ihm immer
unangenehm. »Zwei-fünfzig«, sagt er schnell.
Ich werfe ihm einen scharfen Blick zu. Ich weiÃ, daà der Preis für
den Tisch auf vierhundert Dollar festgesetzt war. Ich habe mir die Preisliste
genau angesehen, die jeder der zweihundert Broschüren beilag, die er auf
Sweetsers Rat hin drucken lieÃ. Mein Vater hat nicht mehr als zwanzig von ihnen
verteilt. Sweetser hat damals wegen der Preise mit ihm gestritten, er
behauptete, die Zahlen meines Vaters wären viel zu niedrig.
»Das sind gute Möbel«, sagte Sweetser. »Wie viele Stunden haben Sie
an dem Tisch gearbeitet?«
»Das ist belanglos«, erklärte mein Vater.
»Es ist nicht belanglos, wenn Sie haben wollen, was Ihnen zusteht.«
Mein Vater behielt die Oberhand, und er findet seine Preise jetzt
angemessen, ja, vernünftig. Mein Vater lebt von dem Geld aus dem Verkauf des
Hauses in New York und von dem, was er und meine Mutter gespart haben.
Trotzdem, den Tisch für zweihundertfünfzig Dollar herzugeben â da hätte er ihn
auch gleich verschenken können.
»Gekauft«, sagt Steven.
Dann wird es lebendig, es gibt zu tun, man bespricht, ob es
gescheiter ist, den Tisch irgendwie im Auto der beiden zu verstauen oder ihn zu
schicken. SchlieÃlich ist man sich einig, daà mein Vater den Tisch per
Frachtgut auf Steves Rechnung senden wird. Diskret schreibt Virginia einen
Scheck aus und legt ihn auf einen Beistelltisch.
Wir gehen alle zusammen zum hinteren Flur. Virginia und Steve ziehen
die ReiÃverschlüsse ihrer Jacken hoch und geben meinem Vater die Hand. »War
schön, Sie zu sehen«, sagt Steve.
»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagt Virginia zu meinem
Vater und
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