Stille über dem Schnee
Möbeln der
Shaker.«
»Einfach, aber schön«, sagt die Frau.
»Gut gearbeitet«, sagt der Mann.
Ich frage mich, ob sie meinetwegen die Arbeit meines Vaters so
loben; ob, wenn ich das Zimmer verlasse, die negativen Kommentare folgen. Wenn
Leute zu uns kommen, um sich die Möbel anzusehen, läÃt mein Vater sie meistens
allein und geht hinaus, um eine zu rauchen. Er haÃt die Rolle des Verkäufers.
Interessenten kommen im allgemeinen zu zweit â Paare aus Massachusetts oder New
York, die etwas für ihr Haus oder ihre Wohnung suchen, ein Stück zur Erinnerung
an das Wochenende oder den Urlaub. Ich mache mir gerade Gedanken darüber, wie
ich den Ausstellungsraum verwanzen könnte, als mein Vater hereinkommt. Ãber die
Schwelle tretend, wischt er sich die Hände an einem Tuch ab und sagt: »Tut mir
leid.«
Mein Vater ist unrasiert und hat sich die Haare lange nicht
geschnitten. Seine Lider sind rot. O Gott, hat er womöglich geweint? Nein,
nein, beruhige ich mich, das ist der Leim; seine Augen sind von den Dämpfen
gerötet. Er ist überall voll Sägemehl, er sieht, rundheraus gesagt,
erschreckend aus.
Einen Moment bleibt es still. Vielleicht auch ein wenig länger. Lang
genug jedenfalls, um mich zu veranlassen, einen Blick zu dem Mann zu werfen,
der meinen Vater anstarrt, und dann zu meinem Vater, der seinerseits den
fremden Mann anstarrt.
»Robert?« sagt der Mann fragend.
»Steve«, sagt mein Vater.
Die beiden Männer gehen aufeinander zu, um sich die Hand zu geben.
»Ich hatte gehört, daà Sie irgendwo nach Neuengland gegangen sind«,
sagt Steve in ungläubigem Ton, als könnte er seinen Augen nicht trauen. »Aber
ich wäre nie auf die Idee gekommen ⦠Virginia, das ist Robert Dillon. Wir
haben in New York zusammen gearbeitet.«
Virginia tritt näher und reicht meinem Vater die Hand. Die seine ist
rauh und schwielig, und ich weiÃ, daà sie nach Terpentin riecht.
»Das ist meine Tochter Nicky«, sagt mein Vater.
»Wir kennen uns schon«, erwidert Steve mit einem Lächeln zu mir.
»Sie hat uns hereingeführt.«
Wieder tritt Schweigen ein.
»Tja«, sagt Steve. »Ihre Möbel sind wunderschön. Wirklich
wunderschön. Nicht wahr, Virginia?«
»Ja«, antwortet Virginia. »Wunderschön. Der Mann im
Antiquitätengeschäft hatte recht. Sie haben durchaus Ãhnlichkeit mit den
Arbeiten der Shaker.«
Ich sehe meinen Vater an, und mir wird ganz elend beim Anblick
seines Gesichts.
»Robert«, sagt Steve und drückt seine Hand an die Stirn. »Ich wollte
Ihnen sagen ⦠Ich hatte nie Gelegenheit, Ihnen zu sagen, wie entsetzlich
leid es mir getan hat. Der â Sie wissen schon.«
Mein Vater schüttelt rasch abwehrend den Kopf.
»Du erinnerst dich sicher«, sagt Steve zu seiner Freundin oder
Ehefrau. »Ich habe dir doch damals von dem Mann erzählt, der seine Frau und
seine kleine Tochter �«
»Oh! O ja, natürlich«, stöÃt Virginia hastig hervor. »Es tut mir so
leid«, fügt sie hinzu. »Es muà schlimm gewesen sein.«
Mein Vater sagt nichts. Virginia drückt ihre Handtasche an die
Brust. Steve räuspert sich und schaut sich im Zimmer um.
»Sind Sie noch bei Porter?« fragt mein Vater.
»Nein, ich habe mich selbständig gemacht«, antwortet Steve mit
offenkundiger Erleichterung über den Themenwechsel. »Ich habe vor einem Jahr
zwei Eigentumswohnungen in einem Haus in der Siebenundfünfzigsten StraÃe
gekauft.« Er hält kurz inne. »Sie sind inzwischen schon das Doppelte von dem
wert, was ich für sie bezahlt habe. In der einen wohnen wir, die andere ist
mein Büro. Ich habe drei Angestellte.«
»Ist Phillip noch da?« fragt mein Vater.
»Phillip?« Steve schüttelt den Kopf, als könnte er sich im Moment
nicht erinnern, wer Phillip ist. »Ach, Phillip«, sagt er dann. »Nein, der hat
sich was Neues gesucht. In San Francisco.«
»Tja â¦Â«, sagt mein Vater.
»Tja â¦Â«, sagt Steve.
Das Schweigen ist ein weiÃes Rauschen in meinem Kopf.
»Sind Sie im Urlaub hier?« fragt mein Vater nach einiger Zeit.
»Ja«, antwortet Steve und sieht wieder ganz erleichtert aus. »Zum
Skilaufen. Wir fahren immer auf einen anderen Berg. Wir waren oben in Loon und
in Sunday River. Drüben in Killington. Wo sind wir noch gewesen,
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