Stille über dem Schnee
ihn gut gekannt?« frage ich. »Ich kann mich von den
Besuchen bei dir in der Firma nicht an ihn erinnern.«
»Nein, nicht besonders gut. Er hat in einer anderen Abteilung
gearbeitet.«
»Sie ist hübsch, findest du nicht?« Ich schnappe mir eine Wollmütze
vom Haken und schlage sie wie einen Ball in die Luft.
»Ja, wahrscheinlich«, sagt er.
»Was hast du auf den Zettel geschrieben?«
»Irgendeine Nummer.«
»Von wem?«
»Keine Ahnung«, sagt er.
Ich hebe die Mütze auf, die runtergefallen ist. »Magst du ein
Thunfischbrot?«
»Klingt gut.«
Aber wir bleiben weiter im Flur stehen, keiner bereit zu gehen.
»Dad?« Ich trete näher zu ihm.
»Ja?«
Ich ziehe mir die Mütze über den Kopf. »Hat deine Arbeit dir SpaÃ
gemacht, als du noch in New York warst?«
»Ja, Nicky«, antwortet er. »Ja, sie hat mir Spaà gemacht.«
»Warst du gut? Als Architekt?«
»Ich glaube schon.«
»Was für Sachen hast du entworfen?«
»Schulen. Hotels. Auch ein paar restaurierte Wohnhäuser.«
»Machst du das irgendwann mal wieder?« frage ich.
Er zupft mir die Mütze vom Kopf und setzt sie selbst auf. »Ich
glaube nicht.«
»Glaubst du, das wird ein richtiger Schneesturm da drauÃen?« frage
ich.
»Schon möglich«, sagt mein Vater. Er sieht albern aus mit der Mütze.
»Reine Verschwendung«, stelle ich fest. »Jetzt sind doch sowieso
Ferien.«
»Du hattest doch gerade erst schneefrei«, sagt mein Vater.
»Wann kommt Oma?« frage ich.
»Am Heiligen Abend.«
»Hast du mein Weihnachtsgeschenk schon?«
»Ich verrate nichts«, antwortet er.
»Ich hab mir gedacht, ein Kassettenrecorder wäre schön. Ich brauch nämlich einen.«
»Aha«, sagt mein Vater.
Später am Nachmittag sitze ich an einer Halskette für meine
GroÃmutter, als ich drauÃen Motorengeräusch höre. Ich gehe zum Fenster und
schaue hinaus, und da steht ein kleines blaues Auto unten in der Einfahrt.
Jetzt fährt es weiter neben die Scheune, wo mein Vater immer seinen Lastwagen
abstellt.
Wahnsinn,
denke ich, dieser plötzliche Andrang!
Ich laufe die Treppe hinunter und öffne die Tür. DrauÃen steht eine
junge Frau, die Hände in den Taschen ihres hellblauen Parkas. Unter
dunkelblondem Haar hervor sieht sie mich an. Sie schiebt sich die Haare aus dem
Gesicht und klemmt sie hinter die Ohren. Sie hat sehr dünnes und völlig glattes
Haar.
»Ist Mr. Dillon da?« fragt sie mit so schwacher Stimme, daà ich
den Kopf zur Tür hinausstrecken muÃ, um sie zu hören.
»Sagten Sie Dillon?« frage ich.
Sie nickt.
»Ja, er ist da.«
»Ein Mann unten im Antiquitätengeschäft hat mir gesagt, daÃ
Mr. Dillon Möbel herstellt und einige Stücke zu verkaufen hat. Ich sollte
hier herauffahren und mich umsehen. Tut mir leid, ich wuÃte nicht, wo ich
parken soll.« Ihre Stimme klingt angespannt, und sie spricht hastig. Ihre Augen
sind so hellblau wie ihre Jacke, und an ihren Wimpern hängen weiÃe Flocken. Der
Schnee liegt wie eine Spitzenhaube auf ihrem Haar.
»Kommen Sie rein«, sage ich.
Sie tritt ein. Ihre Jeans fällt über ihre Stiefel, und die Hosenbeine
sind am Saum naÃ. Mit einem schnellen Blick, der über die Wollmützen und
Baseballkäppis, die Ãbergangs- und Winterjacken, den Sack mit dem StraÃensalz
und eine Dose WD -40 auf einer Konsole gleitet,
sieht sie sich im hinteren Flur um. Durch das Schneetreiben ist es dunkler
geworden, und ich mache Licht. Die Frau zuckt mit einer kleinen Kopfbewegung
zusammen. Das Haar fällt ihr von neuem ins Gesicht, und sie schiebt es wieder
hinter die Ohren.
»Ich hole meinen Vater«, sage ich.
Ich laufe durch den Gang und hinüber in die Scheune. Er sieht von
der Schublade auf, an der er arbeitet.
»Du wirst es nicht glauben«, sage ich, »aber wir haben schon die
nächste Kundin.«
»War mir doch so, als hätte ich ein Auto gehört«, meint er.
Er geht mit mir ins Haus hinüber. Die Frau steht immer noch an der
Hintertür. Sie steht mit hochgezogenen Schultern, die Arme über der Brust
verschränkt.
»Die Möbel sind im vorderen Zimmer«, sagt mein Vater und gibt mit
einer Handbewegung die Richtung an.
»Ich sollte meine Stiefel ausziehen«, sagt die Frau.
Noch bevor ich sagen kann, daà das nicht
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