Stille über dem Schnee
mir.
»Vielleicht können wir uns mal treffen«, meint Steve. »Zusammen
essen oder irgendwo etwas trinken. Wir wohnen noch bis Freitag im Woodstock
Inn. Wie wärâs, wenn ich Sie anrufe?«
Mein Vater nickt langsam. »Sicher«, sagt er.
»Haben Sie was zum Schreiben da?« fragt Steve. »Dann notiere ich mir
Ihre Nummer.«
Mein Vater verschwindet in der Küche.
Da bin ich mal gespannt , denke ich.
»Möchten Sie mein Wandgemälde mit den Skibergen sehen?« frage ich,
einem plötzlichen Impuls folgend. AuÃer meinem Vater, meiner GroÃmutter und Jo
hat es bisher niemand gesehen.
»Oh, gern, ja«, sagt Virginia. »Wo ist es denn?«
»In meinem Zimmer.«
Ich mache kehrt und gehe los, gewiÃ, daà sie mir folgen werden. Das
tun sie auch und fallen mit Fragen über mich her. Ob mir das Leben in Shepherd
gefällt. Ob New York mir fehlt. Ob ich in der Schule einen besonderen Sport
betreibe?
Ich fange an, die Aufforderung zu bereuen, als ich die Packung
Toilettenpapier bemerke, die auf der Treppe zwischen den Geländerstäben steckt.
Oben im Flur habe ich ein nasses Handtuch liegengelassen, und im Bad sieht es aus
wie im Schweinestall, feuchte Papiertücher kleben am Rand des Waschbeckens, und
über der Toilette hängt ein weiteres Handtuch. Mein Vater und ich machen das
Haus immer samstags sauber; bis zum Dienstag ist davon nichts mehr zu merken.
Oben an der Treppe warte ich auf Virginia und Steve. Ich bin so
geistesgegenwärtig, die Tür zum Zimmer meines Vaters zu schlieÃen, als wir
daran vorüberkommen, so daà das Paar das ungemachte Bett und den Wäschekorb auf
dem Boden nicht zu Gesicht bekommt. Als wir endlich mein Zimmer erreichen,
würde ich am liebsten im Boden versinken. Mein Bett ist nicht gemacht, mein
Flanellpyjama liegt auf dem Boden, auf dem Nachttisch ist eine leere
Ring-Ding-Packung. Schlimmer noch, über der Rückenlehne eines Stuhls hängt
einer meiner Schlüpfer.
»Oh, das ist ja phantastisch«, ruft Virginia.
»Du bist eine richtige Künstlerin«, sagte Steve.
»Ich habe noch nie so etwas gesehen«, sagt Virginia.
»Was für Farben hast du genommen?« fragt Steve.
Ich sehe mein Wandgemälde zum erstenmal als das, was es ist: ein
stümperhaft ausgeführtes primitives Panorama der drei nördlichen Bundesstaaten
Neuenglands, dazu ein Stück von Kanada, das sich in rosigem Glanz dicht unter
der Decke erstreckt. Der Name Massachusetts ,
ursprünglich falsch geschrieben, ist ungeschickt mit schwarzer Farbe
ausgebessert, und die Gipfel, die weià übermalt sind zum Zeichen, daà ich dort
schon Ski gelaufen bin, haben einen Stich ins Giftgrüne.
»Du muÃt ja eine ganz tolle Skiläuferin sein«, bemerkt Steve.
»Wollen wir nicht mal alle zusammen laufen?« schlägt Virginia in
einem Ton vor, den ich nicht mal einer Dreijährigen zumuten würde.
Ich schiebe den Schlüpfer in meine Hosentasche.
»Ist das eine Hütte?« fragt Steve.
»Oh, schau mal, Steve â Attitash!« ruft Virginia.
Ich bewege mich Richtung Tür.
»Du hast die Begabung deines Vaters geerbt«, erklärt Steve.
»Vielleicht wirst du auch einmal Architektin.«
»Ich geh jetzt wieder runter«, sage ich.
»Es ist jammerschade, daà er die Architektur aufgeben muÃte.« Steve
hält inne. »Nicht daà die Möbel nicht auch groÃartig sind.«
»War mein Vater gut in seinem Beruf?«
»Der Beste«, antwortet Steve. »Er war ein hervorragender Zeichner.
Das kann man nicht von allen Architekten sagen.«
»Oh«, sage ich.
»Daher haben seine Möbelstücke auch diese schöne Linie«, fügt er
hinzu.
»Perlen!« ruft Virginia. »Du machst Halsketten!«
Wir treffen meinen Vater im hinteren Flur wieder. Steve nimmt
den Zettel an sich, den er ihm reicht, und wedelt damit in der Luft. »Ich rufe
Sie an!« sagt er.
Ich
sehe den beiden nach, die durch das dichter werdende Schneetreiben zu ihrem
Wagen gehen. Mir fällt auf, daà sie nicht miteinander sprechen, während Steve
das Auto wendet. Das sagt alles; sie warten, bis sie auÃer Sicht sind. Beide lächeln
wie auf Kommando, als sie abfahren.
»Bist du mit dem Verleimen fertig geworden?« frage ich meinen Vater.
Sein Blick braucht einen Moment, um aus der Ferne zu mir
zurückzukehren. »So ziemlich, ja.«
»Hast du
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