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Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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unverwandt an (weil er sie sich ganz genau anschauen
wollte, denke ich heute), daß er direkt in die Schaukel hineinfuhr. Der Mäher
verfing sich mit der Schnauze in den Seilen der Schaukel und tuckerte weiter,
bis es ihn in die Höhe riß. Mein Vater sprang rückwärts ab und rollte weg. Der
Motor ging aus, als er zu Boden fiel, aber als er wieder aufstand, hing der
Mäher immer noch in den Seilen, die Schnauze himmelwärts gerichtet. Meine
Mutter preßte die Hand auf den Mund und begann zu lachen.
    Und gestern abend kam mir eine Erinnerung an meine Mutter, wie sie
neben meinem Vater im Bett lag. Der lose Träger des Unterrocks, in dem sie zu
schlafen pflegte, enthüllte teilweise eine prall gefüllte Brust. Sie sprachen
leise miteinander, um Clara nicht zu wecken, die, kaum eine Woche alt, im
Kinderbettchen neben dem Ehebett schlief. Worüber haben sie damals gesprochen?
Warum bin ich in ihr Zimmer gegangen? Ich kann mich nicht erinnern. Während sie
miteinander tuschelten, breitete sich auf dem Unterrock meiner Mutter ein Fleck
aus, der schnell groß wurde wie eine sich öffnende Blüte. Ich erinnere mich,
daß meine Mutter sich an die Brust faßte und meinem Vater zuflüsterte: Oh, Rob, schau .
    In der Küche riecht es nach Rauch. Das Toastie steckt im Toaströster
fest. Ich ziehe den Stecker, hole das Brötchen mit einer Gabel heraus und
schleudere das verkohlte Ding, als wär’s ein Frisbee, ins Spülbecken.
    Plötzlich höre ich es klopfen. Im ersten Moment halte ich das
Geräusch für das Klopfen eines Zweigs, der gegen das Haus schlägt. Aber dann
mache ich den Rhythmus aus: drei Schläge, dann Pause. Nochmals drei Schläge,
wieder Pause. Es könnte wieder der Kriminalbeamte sein, denke ich und überlege,
ob ich sagen soll, mein Vater sei nicht zu Hause. Aber was ist, wenn Warren
einfach reinstürmt und sieht, daß ich gelogen habe? Kann man vor Gericht
kommen, weil man einen Polizeibeamten angelogen hat? Ich gehe zur Garderobe und
öffne die Tür.
    Ein Mann und eine Frau stehen auf der Vortreppe, und ich sehe, daß
es leicht zu schneien begonnen hat. Die Frau trägt eine große, eckige Brille
mit blaugetöntem Gestell und hat einen Haarschnitt, wie man ihn im ganzen Staat
New Hampshire suchen kann: Ihr Haar fällt glatt und voll und stumpf
geschnitten. Ihr Mund ist in einem glänzenden Kirschrot geschminkt, das zur
Farbe ihrer Lederhandschuhe paßt. Sie hat eine weiße Daunenjacke an, die sie
eindeutig nicht bei Woolworth gekauft hat.
    Der Mann zieht den Reißverschluß seines schwarzen Skianoraks auf,
lächelt und sagt: »Unten im Antiquitätengeschäft hat man uns gesagt, daß ein
gewisser Mr. Dillon Möbel macht, die wie Shakermöbel aussehen. Sind wir
hier richtig?«
    Ich nicke und wundere mich, denn ist es nicht mehr als eine Woche
her, daß Sweetser einem »Pärchen« von den Möbeln meines Vaters erzählt hat? Wo
waren die beiden inzwischen? In einer Zeitschleife gefangen? Wegen des Schnees
bitte ich sie ins Haus und sage, ich werde gleich wieder dasein. Ich wolle
meinen Vater holen, füge ich hinzu.
    Â»Dad«, sage ich in der Werkstatt, »drüben sind ein Mann und eine
Frau, die deine Möbel sehen wollen.«
    Ich habe ihn beim Verleimen gestört. Er schüttelt heftig den Kopf,
als wollte er sagen: Herrgott noch mal, Nicky, doch nicht
jetzt .
    Â»Ich führe sie ins vordere Zimmer«, schlage ich vor.
    Der Mann und die Frau stampfen auf der Matte den Schnee von ihren
Stiefeln. Ich sage ihnen, daß mein Vater gleich kommen wird und daß ich
inzwischen mit ihnen vorausgehen kann, um ihnen die Möbel zu zeigen. Die Frau
wirft dem Mann einen Blick zu und lächelt, als wollte sie sagen: Ist sie nicht süß?
    Wir gehen durch die Küche und das Eßzimmer, das jetzt das Wohnzimmer
ist. Wir gehen an der Kammer vorüber, die mein Vater und ich niemals betreten,
die Kammer, die wie ein Allerheiligstes behandelt wird. Ich führe sie in das
vordere Zimmer, wo die Möbel stehen: zwei geradlehnige Stühle; drei kleine
Tische; ein niedriger quadratischer Couchtisch; ein Eßtisch aus Walnuß; ein
Bücherregal aus Eiche; ein kleines Schränkchen.
    Â»Du meine Güte«, sagt die Frau.
    Â»Ich verstehe, was der Mann im Antiquitätenladen gemeint hat«, sagt
der Mann. »Diese Stücke haben wirklich große Ähnlichkeit mit

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