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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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sich mit den Händen rückwärts schieben musste, denn es war unmöglich, sich umzudrehen.
    Je länger er zögerte, desto weniger Zeit blieb ihm. Die neugierigen Aale wurden mit jeder Sekunde dreister, stießen ihn an, rochen an ihm, rieben ihren langen Körper gegen ihn …
    Zur Hölle.
    Jede Entscheidung, die er bisher getroffen hatte, war richtig gewesen, mochte sie auch noch so verrückt sein – auf dem Ast der Kiefer weiterzuklettern, sich an die Mauer heranzuschaukeln, die Schachtwand hinabzusteigen, sich in das Wasserbecken fallen zu lassen … Er musste einfach seinem verrückten Schutzengel vertrauen.
    Erneut stieß er Luftblasen aus, dann zog er sich weiter durch den engen Felsgang, der seine Haut aufkratzte und den Rücken aufschürfte. Gott sei Dank, er kam immer noch vorwärts. Er schlängelte sich jetzt selbst wie ein Aal, schob sich mit Knien und Ellbogen, tastete mit den Fingerspitzen. Er würde es schaffen. Seine Entscheidung war richtig gewesen. Aber es war ein Wettlauf mit der Zeit: In seinen Ohren dröhnte das Blut, sein Kopf wollte zerspringen, seine Lungen waren voll Säure.
    Und dann hielt er an.
    Er konnte nicht weiter.
    Was war der Grund?
    Eines der Bündel hatte sich verheddert. James wippte mit den Hüften und versuchte es loszureißen. Komm schon! Komm schon! Er konnte nicht mit der Hand nach hinten fassen, um seinen Gürtel abzuschnallen, daher glitt er ein Stück zurück, zerrte an dem Bündel und schnellte wieder vorwärts. Er hatte es geschafft. Er konnte sich wieder frei bewegen.
    Nein. Das stimmte gar nicht. Seine Finger ertasteten etwas. Direkt vor ihm war massiver Fels.
    James saß in einer Sackgasse fest.
    Das konnte nicht wahr sein. Er war so weit gekommen, hatte so viel gewagt. Sein Schutzengel hatte ihn im Stich gelassen und lachte ihn aus. »Siehst du, wie ich dich getäuscht habe? Wie ich dir eine Fluchtmöglichkeit vorgegaukelt habe? Aber du wirst nicht entkommen. Alles, was ich für dich habe, ist ein einsamer Tod.«
    James verlor das Bewusstsein. Wirre Gedanken spukten durch seinen Kopf. Er öffnete die Augen. Die Sonne brannte von einem tiefblauen Himmel, Palmen warfen gezackte Schatten auf den weißen Sandstrand. Was geschah mit ihm? Natürlich – es war nur ein Traumgespinst.
    Dann sah er das Porträt von König George vor sich.
    Er war wieder in seinem Zimmer in Eton.
    Das war unmöglich.
    Er schüttelte den Kopf.
    Was war wirklich, was nur ein Traum?
    Ja, ein Traum. Es war alles nur ein Traum. Er lag in seinem Bett in Eton und schlief, denn so etwas konnte im richtigen Leben gar nicht passieren, oder? Es war viel zu schrecklich.
    Und dann sah er das Gesicht von Onkel Max, der ihm zulächelte.
    Er war nicht mehr in Eton, er war in der Hütte, und Max erzählte ihm eine seiner Geschichten. Aber nun sah er verärgert aus.
    »James!«, schrie er von weit, weit weg. »Mach weiter! Gib nicht auf!«
    Was sollte er nicht aufgeben?
    Ach ja … der Fels, der Tunnel, er war unter Wasser.
    Sei nicht dumm! Gib nicht auf!
    James tastete weiter. Überall festes Gestein. Umkehren konnte er nicht, dazu fehlt ihm die nötige Luft. Er konnte nichts tun, als hier liegen zu bleiben. Einfach nur liegen bleiben. Es würde alles gut werden. Er würde schlafen. Er musste nur seinen Mund öffnen und die Lungen mit Wasser füllen, und alles wäre vorbei … Er hatte von irgendjemandem gehört, es sei weniger qualvoll, im Wasser zu atmen, als keine Luft in den Lungen zu haben …
    »James!«
    Wer war das? Er drehte seinen Kopf in alle Richtungen – und sah einen schwachen Lichtschein direkt über sich! Über ihm war ein Ausgang. Wie dumm von ihm! Er hatte niemals nach oben geschaut.
    James stieß sich vom Boden des Tunnels ab. Langsam trieb er nach oben, bis, ja, bis er den Mond und die Sterne sehen konnte und …
    Luft.
    Wunderbar frische Luft.
    Er war draußen. Er war frei. James riss den Mund auf und atmete tief ein. Es tat fürchterlich weh und er wäre vor Husten beinahe erstickt, aber er war draußen.
    Quälend langsam, so als würde er beim nächsten Armzug untergehen, schwamm er an Land und erbrach sich heftig. In seinen durchweichten Kleidern zappelten Aale, aber er achtete nicht darauf. Es waren nur Aale, sie konnten ihn nicht mehr schrecken. Sie schnellten zurück ins Wasser, während er keuchend und zitternd im Gras lag.
     
    Vier Stunden zuvor hatte Kelly es mit Hilfe eines Steckens bis zum Keller des verfallenen Hauses geschafft. Er schiente den Fuß mithilfe von Stoffstreifen,

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