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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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nicht bestreiten, dass ihre Überzeugung auf ihn abgefärbt hatte. Inzwischen bevorzugte auch er Kaffee, selbst wenn der ihm anfangs sehr bitter vorgekommen war und er ihn kaum hinuntergebracht hatte.
    Nach dem Frühstück kehrten sie satt und zufrieden zum Bentley zurück und fuhren weiter Richtung Mallaig.
    »Wie geht es Onkel Max?«, fragte James.
    »Nicht sehr gut, fürchte ich. Du hast ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen, nicht wahr?«
    »Nicht seit Mutter und Vater tot sind.«
    »Dann wirst du sicher einen Schrecken bekommen. Er ist fürchterlich abgemagert und jetzt hat er auch noch einen schlimmen Husten.«
    »Wie ernst ist sein Zustand?«, fragte James unumwunden.
    »So ernst er überhaupt nur sein kann. Der Arzt sagt, es sei ein Wunder, dass er so lange durchgehalten hat. Aber dein Onkel ist eine Kämpfernatur, zäh wie alte Lederstiefel. Trotzdem ist es irgendwie ungerecht. Wenn man bedenkt, was er in seinem Leben bereits alles durchgestanden hat … und jetzt wirft ihn ausgerechnet eine schnöde Krankheit um. Aber so ist es, das Leben ist nicht gerecht. Sein eigener Körper wendet sich gegen ihn, indem er in den Lungen mehr und mehr Krebszellen produziert und ihn langsam erstickt. Krebs ist eine fürchterliche Sache. Aber genug davon – dein Onkel freut sich schon sehr auf dich. Wie gesagt, ich glaube, dein Besuch wird seine Lebensgeister wecken.«
    Ein oder zwei Meilen vor Glenfinnan bogen sie von der Hauptstraße ab und fuhren weiter nach Norden. Die kurvenreiche Straße führte in die kleine Ortschaft Keithly. Sie bestand aus lauter niedrigen grauen Steinhäusern, die sich im Schutz der Hügel aneinander drängten, bereit für alles, was die harten Winter bescheren mochten.
    Das Cottage, in dem Max Bond wohnte, war etwas abseits gelegen. Sie fuhren die schmale Hauptstraße entlang, vorbei am Postamt und der Dorfkneipe, und bogen dann auf einen holprigen Weg, der, dem Lauf eines kleinen Flusses folgend, in einen Kiefernwald führte.
    »Ich habe keine Ahnung, wie sehr das die Radaufhängung strapaziert, wenn man hier tagein, tagaus entlangfahrt«, sagte Charmian, während sie das Lenkrad einschlug, um eine besonders enge Kurve zu meistern. »Zum Glück sind Bentleys sehr robuste Fahrzeuge.« Sie drehte sich zu James und lächelte. »Das Cottage wirkt zuerst ein wenig einsam, aber es gehen ständig Leute ein und aus. Da ist zum einen ein sehr nettes Ehepaar, das sich um deinen Onkel kümmert: May Davidson und ihr Mann Alec. Seit über zehn Jahren kocht May nun schon für Max. Außerdem macht sie das Haus sauber und kümmert sich auch sonst um alles. Dann ist da noch der Arzt, der fast täglich vorbeikommt, und ein alter Kauz namens Gordon, der Max beim Angeln zur Hand geht …«
    »Geht er denn oft angeln?«
    »Ach herrje, sogar sehr oft. Wusstest du das nicht? Es ist sein Lebensinhalt. Darum hat er ja auch dieses Cottage gekauft – weil der Fluss praktisch vor der Haustür liegt und Max die Fischereirechte gleich mit übernehmen konnte. Man sieht ihn nie ohne eine Angel in der Hand. Vermutlich muss man sie ihm einmal mit in den Sarg legen.«
    Sie umrundeten die letzte Biegung und dann lag das Cottage auch schon vor ihnen. Es schmiegte sich in eine kleine Lichtung und war so von Clematis, Geißblatt und Kletterrosen überwuchert, dass man die Umrisse kaum erkannte. Wenn alles blühte, dachte James bei sich, würde das Häuschen komplett unter der Pracht verschwinden.
    Und dann sah er Onkel Max.
    James war dankbar, dass Charmian ihn vorgewarnt hatte, denn Max sah tatsächlich sehr krank aus. Seine faltige Haut war von einem fahlen Gelb und er hatte so viel Gewicht verloren, dass seine Kleider viel zu weit waren und wie ein Sack an seinem Körper hingen. Er musste sich auf einen Gehstock stützen. Schon immer hatte er leicht gehinkt – das hing mit einer Verwundung zusammen, die er im Krieg davongetragen hatte –, und James hatte das sehr aufregend gefunden, aber jetzt fiel Max das Gehen sichtlich schwer. Was ihn nicht daran hinderte, es dennoch zu versuchen. Er humpelte auf das Auto zu, so schnell er konnte, und für einen Augenblick kam es James so vor, als sähe er den Mann von einst vor sich.
    James früheste Erinnerung an seinen Onkel hing mit einem Besuch der großen Ausstellung des britischen Empires in Wembley im Jahr 1952 zusammen. Damals war sein Onkel eine unglaublich eindrucksvolle Erscheinung gewesen: groß und schlank, mit der stolzen, unbeugsamen Haltung eines Soldaten. James wusste

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