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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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hier anfangen soll. Von einem Baumstamm kann man keine Fingerabdrücke nehmen, ein Schaf kann man nicht als Zeuge befragen … Und dann die Einheimischen. Sie wollen mit mir nichts zu tun haben. Lord Hellebore hat sie mit Geld eingelullt, für sie ist er ein Held. Was er in seinem Schloss treibt, kümmert sie wenig.«
    James sah prüfend zum Himmel hoch. Überrascht stellte er fest, wie spät es schon war.
    »Wenn Kelly und ich es noch vor Einbruch der Dunkelheit bis nach Hause schaffen wollen, müssen wir uns langsam auf den Heimweg machen«, sagte er.
    »Am besten, ihr geht gleich los«, stimmte Meatpacker ihm zu.
    »Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Kelly.
    »Dranbleiben, was sonst? Ich werde im Freien übernachten und das Kommen und Gehen im Schloss beobachten. Es ist wichtig, die Tagesabläufe herauszufinden. Ihr beiden könnt mir aber trotzdem helfen. Horcht euch ein wenig um und stellt Fragen. Vielleicht sind die Leute zwei Jungen gegenüber weniger zugeknöpft als bei einem alten Zausel wie mir. Aber ihr müsst mir versprechen, nichts zu unternehmen, ehe ihr nicht von mir gehört habt. Ich bin derjenige, der dafür bezahlt wird, Risiken einzugehen.«
    James und Kelly machten sich auf den Weg. James konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Mike Moran, genannt Meatpacker, nur schlecht gerüstet war für eine Nacht im Moor – es sei denn, er hatte irgendwo ein Zelt aufgeschlagen und Proviant mitgebracht. Ungeachtet dessen schien der Mann guter Dinge zu sein und gewiss hatte er in seinem Berufsleben weitaus ungemütlichere Situationen überstanden.
    Die Ereignisse des Tages hatten Kellys Fantasie beflügelt und so erging er sich auf dem Rückweg in allerlei wilden Spekulationen, was Lord Hellebore in seinem Schloss am See wohl so treiben mochte.
    James jedoch musste immerzu an den Fußabdruck denken und an den Jungen, von dem dieser Abdruck stammte … und an den Mann im blutigen Overall, der den Eimer mit Tierabfällen in das schäumende Wasser gekippt hatte.

Der Kindermord von Bethlehem
     

    D er prachtvolle Hirsch hatte sich stolz am Hang postiert. Mit den Vorderfüßen stand er auf einem Granitfelsen, der fast völlig von einem Kissen aus roten Lichtnelken überwachsen war. Es war ein großer Rothirsch, beinahe einen Meter fünfzig hoch, mit ausladendem Geweih. Er sah aus, als würde er für ein Foto posieren – als Herrscher der Schluchten. Prüfend sog er die Luft ein und röhrte. Er wusste, dass eine Gefahr in der Nähe war.
    Rothirsche sind vorsichtige Tiere, sie sehen hervorragend und haben einen ausgezeichneten Geruchssinn. Eine falsche Bewegung, und der Bursche würde auf und davon jagen, über die Felsen.
    Drei Gestalten in grauer Jagdkleidung kauerten in einer Mulde und warteten geduldig. Vorne war Randolph Hellebore. Der Länge nach ausgestreckt lag er in einem Bett aus Ehrenpreis und schaute angestrengt durch ein kleines Fernglas. Dann kam George, der verdrossen auf den Hinterkopf seines Vaters starrte, und dahinter, den unvermeidlichen Hut fest auf den winzigen Kopf gepresst, duckte sich Hellebores Faktotum Cleek MacSawney, der zugleich der Aufseher über die Jagd und die Fischerei war.
    MacSawney füllte aus einer Flasche drei Becher mit Whisky. George blicke ihn angewidert an. MacSawney war förmlich mit Whisky getränkt, er trank ihn zum Frühstück, zum Mittag- und zum Abendessen. George hatte ihn nie essen sehen, nur trinken. Seine Haut sah aus wie ein gekochter Schinken, seine weiche, fettige Nasenspitze war mit großen Poren übersät und die Bindehaut seiner wässrigen Augen war blutunterlaufen.
    »Schau ihn dir an«, stieß Lord Randolph atemlos hervor, während er auf dem Bauch hin- und herrutschte und sich mit einem Ruck aufsetzte, sobald er sicher war, außer Sichtweite des Hirsches zu sein. »Ein Vierzehnender. Majestätisch.«
    »Ein wirklich feines Tier«, knurrte MacSawney und reichte seinem Chef den Whisky. Randolph kippte ihn in einem Zug hinunter, als ob es Wasser wäre. George nippte an seinem Becher. Er hasste den Geschmack, er hasste es, wenn der Alkohol in der Kehle brannte und wie Säure im Magen lag – aber er hatte keine Wahl. Wenn er ein Jäger, ein richtiger Mann werden wollte, dann musste er mit seinem Vater mithalten.
    »Wie weit ist er wohl entfernt?«, fragte Randolph.
    »Achtzig Yard«, schätzte MacSawney.
    »Wollen wir einen Schuss riskieren?«
    »Jetzt oder nie«, sagte MacSawney, zog die Hülle von einem Gewehr und reichte es George.
    »Von hier

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