Stille Wasser
nachdem er einen kurzen Augenblick über Buffys Worte nachgedacht hatte, wurde seine Haltung wieder etwas entspannter.
»Ich vermute zwar, dass die Selkie-Variante des Gälischen bereits der Vergangenheit angehörte, als Angel noch nicht einmal geboren war. Aber vielleicht kommt er ja zumindest mit der Grammatik besser zurecht als ich. Ein ausgezeichneter Vorschlag.«
»Klar, wen wundert’s. Sie kommen ja mit nichts rüber, was ich in Staub verwandeln könnte – oder, in diesem Fall, in Wasser –, also hab ich wohl automatisch meine eigenen kleinen grauen Zellen in Gang gesetzt, schätze ich.«
»Und gar nicht mal mit schlechtem Erfolg. Wenn du ihn das nächste Mal triffst, frag ihn, ob er uns helfen kann.«
»Geht klar. Ich schätze, wir werden uns heute Abend sehen.
Was meinen Sie, wie lange wird es wohl dauern, bis wir herausgefunden haben, wer oder was da am Strand dieses kleine Bacchanal veranstaltet hat?«
Warum verspürte sie plötzlich diesen Drang, zu Ariel hinüberzuschauen? Das Selkie erwiderte ihren Blick und sah sie mit großen, unschuldigen Kinderaugen an.
Ja. Genau.
Oder hatte sie da gerade einen Anflug von Spott entdeckt?
Sie war sich nicht sicher. Auch nicht, was sie selbst betraf.
»Giles?«
»Hmmm?«
Nein. Giles hat wahrscheinlich Recht, dachte sie.
Möglicherweise neige ich ja tatsächlich dazu überzureagieren, sobald es sich um etwas handelt, das mit Wasser zusammenhängt. Immerhin ist er das Superhirn in diesem Spiel. Aber ich bin diejenige mit dem Jägerinnen-Instinkt, richtig?
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Oder vielleicht... Buffy zögerte und versuchte den aufkeimenden Gedanken zurückzudrängen, gleichwohl gab sie ihm schließlich dennoch nach. Vielleicht bin ich einfach nur eifersüchtig, weil er und Will so viel Zeit mit Ariel verbringen.
Vielleicht... Sie verspürte einen leichten Stich. Okay, Zeit für ein paar unbequeme Wahrheiten – macht dir vielleicht einfach nur die Tatsache zu schaffen, dass dieses kleine Mädchen es fertig bringt, Giles – deinen Wächter – in null Komma nichts um den kleinen Finger zu wickeln?
Eifersüchtig auf ein kleines Mädchen? Kein besonders schmeichelhafter Gedanke.
»Ach nichts. Schon gut.«
Einmal mehr fand sich Julian Lee am Strand wieder. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, vorausgesetzt, man besaß einen etwas skurrilen Sinn für Humor. Er war zu sehr mit dem Symposion, das im Norden des Staates stattgefunden hatte, beschäftigt gewesen, um hierher zu kommen, nachdem die Helferteams abgezogen waren. Und nun hatte er die Chance verpasst, hatte es versäumt, den Fisch, wie man so schön sagt, an Land zu ziehen.
Und das ihm, Julian Lee, Doktor der Meeresbiologie.
Leitender Mitarbeiter eines international renommierten Forschungsinstituts. Gründer der E.L.F., einer landesweiten Organisation freiwilliger Umweltschützer. All denen ein Begriff, die regelmäßig die wichtigeren Naturschutzmagazine und -zeitschriften lasen. Sein Name bei Senatoren und Kongressabgeordneten, die grundsätzlich gegen alles waren, das aus seiner Richtung kam, gleichsam Synonym für Quertreiber- und Dissidententum. Ein einsamer Kämpfer gegen eine Gefahr, die der Rest der Welt nicht einmal ahnte.
Eine Gefahr, die er entschlossen war, unwiderruflich auszulöschen, koste es, was es wolle.
Doch er war, wieder einmal, zu spät gekommen.
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Und nun stand er abermals an diesem Gestade und blickte mit düsterer Miene hinaus auf den sanften Wellengang der allmählich einsetzenden Flut. Sie schien ihn zu verspotten; der Gleichmut, mit dem sie alle Spuren wegwischte, gleichsam ein Schlag in das Gesicht seiner Hybris.
Ich weiß, dass sie dort irgendwo sind, dachte er. Sie sind keine Hirngespinste. Sie warten. Beobachten uns. Schmieden Pläne.
Trotzdem brauchte er Beweise. Er war Wissenschaftler und kein Hexenjäger. Das Aufstellen ungesicherter Behauptungen und das grundlose Schüren von Ängsten, wo lediglich ein wenig Wachsamkeit geboten war, gehörten nicht zu seinen Methoden.
Die junge Studentin, die ihm von der örtlichen Universität zugewiesen worden war, schien von dem gleichen Schlag zu sein wie die freiwilligen Helfer: freundlich und adrett und wie besessen von dem Gedanken, die Umwelt zu retten. Aber sie besaß ausgezeichnete Zeugnisse und verfügte aller Wahrscheinlichkeit nach über beachtliches akademisches Wissen, ein Kapital, das ihren romantischen Eifer vielleicht ein wenig zu bremsen vermochte. Sie hatte sich alle Tiere, die man an den Stränden im
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