Stille Wasser
einmal mehr gar nichts begriffen hatte. Dass Menschen sterben 70
mussten, weil sie nicht erkannt hatte... ja, was? Was war es, das sie nicht erkannt hatte? Wobei hatte sie versagt?
Verzweifelt suchte sie in ihrer Erinnerung nach der Antwort...
Und kam wieder zu sich, ein Bein unter der Dusche und die Haut dampfend von kaltem Schweiß.
Mit zitternden Fingern drehte sie das Wasser ab und änderte kurz entschlossen ihre Pläne für den Tag.
»Ein Traum also. Ein schlimmer Traum.« Buffy saß an dem Tisch, an dem Giles für gewöhnlich seine Mahlzeiten zu sich nahm, trommelte unbewusst mit ihren Fingernägeln ein enervierendes Staccato und rang sichtlich um Beherrschung.
Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie hierhergekommen war, nur daran, wie er ihr die Tür geöffnet hatte und sie mit fliegenden Haaren hineingestürmt war, um ihm atemlos über ihre frühmorgendlichen Grenzerfahrungen zu berichten. Nach einigen vergeblichen Versuchen, ihren Redeschwall zu bremsen, hatte er sie vor sich her in die Küche geschoben, wo er bei seinen Frühstücksvorbereitungen unterbrochen worden war, sie an dem Tisch platziert und ihr erst einmal Tee gekocht, Rupert Giles’ Allheilmittel gegen alles und jeden.
Sie hasste Tee, besonders wenn Giles ihn zubereitet hatte, aber gehorsam nippte sie an ihrer Tasse.
»Ich meine, dieser Traum war... wirklich übel, Giles. Ich kann mich diesmal an jedes winzige Detail erinnern, an alle Einzelheiten – ich hasse es zu ertrinken, auch wenn ich nicht wirklich dabei Wasser schlucke. Und ich weiß, dass ich unverständliches Zeug daherbrabbel, also hören Sie endlich damit auf, so ein betroffenes Gesicht zu machen, okay?«
Giles, der soeben dabei war, sich eine weitere Tasse Tee einzugießen, zwang seine Gesichtszüge augenblicklich zu einem Ausdruck angemessener Konzilianz.
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»Vielen Dank. In Ordnung.« Buffy beugte sich auf ihrem Stuhl ein wenig vor und blickte den Wächter stirnrunzelnd an.
»Diesmal war es anders als sonst. Ich war in so einer Art Schwimmbecken. Ich bin sicher, es war ein Becken. Trotzdem war Salzwasser darin und etwas hat mich festgehalten.« Buffy erschauderte.
»Etwas, das du kennst?«, hakte Giles vorsichtig nach.
»Nicht dass ich wüsste. Harte, schuppige Klauen. Wie von einem Dämon. Oder von jemandem, der zum Spülen kein Palmoliv nimmt.«
Der Wächter setzte sich ihr gegenüber und nahm einen Schluck von seinem Morgentee. »Schuppige Klauen. Wir sollten das auf die Liste charakteristischer Merkmale setzen.
Möglicherweise grenzt das unsere Suche ein wenig ein.«
Buffy stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Also glauben Sie mir endlich, dass dieser Traum so etwas wie eine böse Vorahnung war?«
Er stellte bedächtig seine Tasse ab. »Wie ich schon sagte, er erfüllt nicht ganz die typischen Kriterien für Vorahnungen oder künftige Ereignisse vorwegnehmende Träume. Normalerweise verschwinden solche Träume, wenn man sich der drohenden Gefahr bewusst wird. Die Sache mit dem Salzwasser ist allerdings interessant. In deinen vorherigen Träumen handelte es sich immer nur um ganz normales Wasser, oder?«
Sie nickte. »Ja, genau. Wie im Freibad. Sie wissen schon, mit Chlor drin und so. Ich kann mich noch deutlich an den blöden Geschmack im Mund erinnern. Und ich –“
Giles brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Es ist durchaus denkbar, dass dich dein letzter Traum vor irgendeiner Gefahr warnen wollte, die vom Meer ausgeht, vor allem in Anbetracht deiner Kenntnis um die Tragödie, die sich am Strand vor zwei Tagen abgespielt hat.«
»Schöne Kenntnisse. Vier tote Kids und nicht die geringste Spur von ihrem Mörder.«
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»Wie auch immer«, fuhr Giles fort, ohne ihrem Zornesausbruch Beachtung zu schenken, »die Tatsache, dass du zuvor lediglich von Chlorwasser geträumt hast, spricht jedenfalls klar für meine ursprüngliche Theorie, dass nämlich der Grund für deine Träume in deinem Unterbewusstsein zu suchen ist, das ziemlich damit beschäftigt zu sein scheint, deine ausgewachsene Phobie gegen Wasser zu verarbeiten – wobei diese Angstneurose absolut nachvollziehbar ist, berücksichtigt man die traumatisierende Wirkung früherer Ereignisse, die durch die aktuelle Bedrohung nur noch verstärkt wird. Es ist keine Schande, Beklemmungen zu haben, Buffy.«
»Ich habe kein Phobie!« Sie lehnte sich zurück und nahm eine trotzige Haltung an, fest entschlossen, sich erst dann wieder versöhnlich zu zeigen, wenn er dazu
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