Stiller Tod: Thriller (German Edition)
ihn ruhelos macht, ängstlich.
Ehe er angeschossen wurde, ging es bei allem, was er tat, um Macht, darum, Leuten, die schwächer waren als er, seinen Willen aufzuzwingen. Aber seit er aus dieser grauenhaften Finsternis zurückgekehrt ist, haben sich die Dinge geändert. Furcht hat von ihm Besitz ergriffen. Die Furcht, er könnte sich einfach in Luft auflösen, die Finsternis könnte ihn zurückfordern.
Er setzt sich auf und schaltet die Lampe ein. Sein Zimmer ist ordentlich,so wie er es mag, alles an seinem Platz. Bloß ein Bett und ein Tisch und ein Kleiderschrank. Keine Bilder an den Wänden. Nichts. So einen Scheiß braucht er nicht. Macht ihn bloß kirre im Kopf, der ohnehin schon randvoll ist mit Bildern. Er holt tief Luft. Sitzt eine Weile so da, atmet ruhig, sagt seinen Nerven, sie sollen aufhören, ihn anzuschreien.
Nach ein paar Minuten fühlt er sich etwas besser. Lockerer. Seine Hände zittern nicht mehr. Also streckt er sich auf dem Bett aus und begeht den Fehler, seinen Augen zu erlauben, sich zu schließen.
Und schon sind sie da, hier in diesem Zimmer, die Bilder von seinem Vater, mit seinen Tattoos und seinen fehlenden Zähnen und seinem ranzigen Geruch, wie ein verstopfter Abfluss. Er kommt auf ihn zu mit zerbrochenen Flaschen und brennenden Zigaretten.
Vernons Kleinjungenhaut qualmt schwarz, als sein Vater ihm die Zigarette auf den Bauch drückt, ihm eine Hand auf Mund und Nase presst, jeden Schrei abwürgt. Nicht, dass seine Mutter ihn hören würde. Für das hier ist sie taub. Und auch blind, sieht weder die Spuren an seinem Körper noch das Blut zwischen seinen Beinen, wenn sein Vater sich seinen Spaß mit ihm gegönnt hat.
Vernon muss seine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht loszuschreien. Er setzt sich wieder auf, sagt sich, das ist alles ewig her, Mann. Sein widerlicher Drecksack von Vater längst tot. Aber ihm pocht das Herz, als wollte ihm ein Stiefel von innen das Brustbein auftreten, und der Schweiß liegt schwer und stinkend auf seinem Körper.
Er hört seinen keuchenden Atem, während ihn das Entsetzen aus dem Zimmer treibt. Er öffnet die Haustür, tritt hinaus und ringt nach Luft. Atmet Staub und Dieselabgase von den Bussen und Sammeltaxis ein, die selbst so früh am Sonntagmorgen in Scharen unterwegs sind.
Die Straßenlampen – die wenigen, die hier draußen in Paradise Park funktionieren – leuchten noch, werfen grünliches Licht auf die Köpfe der Wochenendarbeiter, die zu den Bushaltestellen und Taxiständen hasten. Er geht wieder ins Haus, lässt sich aufs Sofa fallen undzappt durch die Fernsehkanäle, ohne die Prozession von schwarzen Politikern und eiskalten Schlampen auf CNN wirklich zu sehen.
Er kann nicht still sitzen und springt wieder auf und geht erneut nach draußen, wo es jetzt heller ist, die Straßenlampen aus. Er schnappt sich den Gartenschlauch und fängt an, sein Auto zu waschen. Wischt einen verschmierten Streifen von Boogies Blut vom Fahrersitz und spritzt die Karosserie ab, versucht, sich mit Arbeit zu beruhigen. Doch seine Kehle ist noch immer zugeschnürt, als würde ihm die Hand seines Vaters die Luft abdrücken.
KAPITEL 10
Exley wacht an seinem Computer auf, die Tastatur in die Wange gedrückt, der flackernde Monitor ein Lichtreiz durch seine geschlossenen Lider. Als er sich aufsetzt und die Drahtgitterfigur anblinzelt, die noch immer tanzt, rutscht er unwillkürlich auf der Zeitachse zurück zu dem Moment, als Sunny am Strand zu ihm kam, seine Aufmerksamkeit suchte.
Aber jetzt, in seiner Fantasiewelt, gibt er Shane Porter den Joint zurück, dreht sich zu Sunny um und sieht, dass sie auf das kleine Segelboot zeigt, das in den Wellen schaukelt, und er holt das Boot aus dem Wasser und reicht es seiner Tochter, die infolgedessen still und friedlich oben in ihrem Bett schläft, ihr goldblondes Haar auf dem Kissen ausgebreitet wie ein Vlies.
Exleys prallgefüllte Blase holt ihn in die Realität zurück, und er drückt die Pausetaste auf dem Keyboard, ehe er aufsteht, mit zittrigen Beinen das Studio verlässt, das Wohnzimmer durchquert, die Schiebetür zur Veranda öffnet und runter zum Strand geht, kühl und pulverig der Sand unter den nackten Füßen, vor ihm eine Landschaft wie von Turner gemalt, in sanften Blau-, Rot- und Gelbtönen. Der Ozean ist glatt und ruhig mit leise plätschernden Wellen.
Er meidet die Stelle, an der Sunnys Leichnam gelegen hat, und geht zu den buckeligen Felsen hinüber, rissig und geädert, mit heimischem Buschwerk,
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