Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Innereien seines Rechners aus ihrem Schlummerzustand erwachen und Informationen durch die schlagartig aktiven Speicher fließen.
Wie er so im Dunkeln dasitzt, die Augen geschlossen, hat Exley einen Flashback, der ihn durch seine Intensität fast niederstreckt. Er liegt mit Caroline auf dem Bett in ihrer engen Londoner Wohnung, seine Hand auf ihrem gewölbten Bauch, blickt ihr in die Augen, während er spürt, wie ihr Kind sich im Mutterleib bewegt. Caroline, die ihre Eltern mit zwölf verlor und von ihrer deutlich älteren Schwester großgezogen wurde – einer unterkühlten, distanzierten Frau – hebt die Hand, berührt sein Gesicht und sagt: »Das war immer mein größter Wunsch, Nick. Eine Familie.«
Exleys Augen öffnen sich, er umklammert die Sessellehnen, starrt in eine kalte und trostlose Zukunft. Selbst als Carolines Wahnsinn sie ins Exil schickte, hatte er immer noch Sunny und die klare, unverfälschte Liebe, die zwischen ihnen floss.
Aus und vorbei.
Der Computer grummelt, und Sunny – oder eher das digitale Bild seiner Tochter – erscheint auf den Monitoren. Er stiert auf die tanzenden Pixel und hört, wie sie nur einen Tag zuvor singt: » Sun -ny Ex -ley hat heute Ge-burts-tag«, und merkt, dass er die Worte unaufhörlich wiederholt, ihnen einen kindlichen Tonfall verleiht, bis sie ihm genauso unverständlich werden wie ihr Tod.
KAPITEL 9
Das Motorengeräusch weckt Yvonne Saul. Die Scheibe in ihrem Schlafzimmerfenster vibriert von dem tiefen Grollen. Sie späht auf die Uhr neben ihrem Bett, kurz nach vier Uhr morgens. Der Motor geht aus, die Autotür wird zugeschlagen, und dann öffnet sich die Haustür und knallt wieder zu. Sie bleibt still liegen, lauscht den Schritten, die sich der Tür nähern, die sie nicht abschließen kann, seit er sie eingetreten hat.
Die Tür prallt gegen den Kleiderschrank, als er sie aufstößt. »He!«
Yvonne hält die Augen geschlossen, tut so, als würde sie schlafen, obwohl sie weiß, dass ihn das nicht aufhalten würde. Plötzlich wird ihr kalt, er reißt die Decke vom Bett, und sie liegt schutzlos in ihrem Nachthemd da, die Knie ans Kinn gezogen. »Beweg deinen fetten Arsch! Ich hab Hunger.«
Sie schlägt die Augen auf. Er steht über ihr, schaltet die Nachttischlampe an. Als das Licht den Raum durchflutet, sieht sie das Blut auf seinem Hemd und der Jeans. Getrocknetes Dunkelrot auf seinen Armen und Händen. So viel Blut.
Yvonne kann ihren Mutterreflex nicht stoppen. »Junge, bist du verletzt?« Setzt sich auf, greift mit einer Hand nach ihrem Sohn.
Er schlägt sie weg. »Wenn du nicht sofort aufstehst, bist du gleich verletzt. Ich sag’s nicht noch einmal.« Er stürmt aus dem Zimmer.
Sie hievt sich aus dem Bett, eine große, stämmige Frau Mitte fünfzig. Die wilde junge Schönheit, die sie mal war, untergegangen in den Speckrollen und Falten, die sie zehn Jahre älter aussehen lassen. Sie zieht sich einen Bademantel über, schiebt die Füße in Pantoffeln und geht in die enge Küche.
Er steht am Tisch, streift sich das blutige Hemd ab, lässt die Jeansfallen und kickt sie rüber zu ihr. Steht in seiner Unterhose da. Yvonne kann Schweiß an seinem Körper riechen und den metallischen Blutgeruch.
»Wasch das Zeug!«, sagt er.
Sie bückt sich, um die blutige Jeans aufzuheben. »Was hast du denn nun wieder angestellt, Vernon?«
Sein nackter Fuß trifft sie in den Unterleib, und sie fliegt gegen den Herd. Knallt mit dem Hinterkopf gegen die Backofentür. »Was fällt dir ein, mich auszufragen?« Sie starrt zu ihm hoch, wie er da vor ihr steht, die Faust ballt, wartet darauf, dass er sie schlägt, wie er das schon so oft getan hat. Aber er bremst sich, beugt sich hinunter, bis er mit dem Gesicht dicht vor ihrem ist. »Jetzt brätst du mir Eier und ein Steak und wäschst die Klamotten. Und du hast nie irgendwelches Blut gesehen. Kein bisschen. Hast du verstanden?«
»Ja. Ich hab verstanden.«
Er lächelt, doch sie kann keine Sanftheit in seinem Gesicht finden. Gutaussehend wie sein toter Vater und genauso krank im Kopf. Er verschwindet ins Bad, und sie hört ihn mit Wasser rumspritzen, dann geht er in sein Zimmer, knallt die Tür hinter sich zu.
Yvonne schließt die Augen, betet um Gott weiß was. Als sie fertig ist, steht sie auf, trägt die Sachen ins Bad und weicht sie in der Wanne ein, das Wasser rot von Blut.
Vernon fühlt sie kommen, als er im Halbdunkeln auf dem Bett liegt, sich entspannt, Motown-Musik hört, diese Panik, die in ihm aufsteigt,
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