Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Hemd in die Jeans stopft. »Okay, ich besorg heute welches.«
Als er rausgeht, pfeift er »Tie a Yellow Ribbon Round the Ole Oak Tree«. Sie hasst dieses Lied. Es war das Lieblingslied ihres Mannes, wurde sogar auf ihrer Hochzeit gespielt, und sie kann es nicht hören, ohne wieder sein auf dem Bett verspritztes Gehirn vor sich zu sehen, ist sicher, dass Vernon es pfeift, um sie zu quälen. Yvonne wird übel, sie muss von dem Geruch der Eier würgen.
Sie hat in der Nacht kaum ein Auge zugetan. Die Schreie aus dem Schuppen nebenan waren so schlimm wie noch nie. Sie hat sich die Decke über den Kopf gezogen, die Ohren zugehalten, aber es half nichts. Jedes Mitgefühl, das Yvonne mit diesem Kind im Schuppen hatte, ist verschwunden. Jetzt hat sie Angst um sich selbst. Sie kann nicht Nacht für Nacht ohne Schlaf auskommen, nicht mit ihrem Bluthochdruck und dem Diabetes.
Heute Morgen hatte sie kaum noch die Kraft, sich aus dem Bett zu quälen, und als sie den Bademantel über das Nachthemd zog, sah sie Blutergüsse auf den Armen. Nicht von Vernon, der hat ihr schon eine Weile nichts mehr getan, und sie konnte sich auch nicht erinnern, sich irgendwo gestoßen zu haben. Sie zog das Nachthemd hoch und sah noch mehr Blutergüsse auf den Beinen. Nicht von Prellungen, wurde ihr klar, sondern von geplatzten Blutgefäßen. Von den Blutverdünnern, die sie nimmt, um ihren Blutdruck zu regulieren. Der Stress durch das Zusammenleben mit dem, was ihr Sohn geworden ist, gepaart mit der Schlaflosigkeit ist einfach zu viel für sie.
Yvonne geht vom Herd weg und öffnet die Hintertür, um besser Luft zu kriegen. Hier sind die Schreie sogar noch lauter. Ehe sie es sich anders überlegen kann, hastet sie zum Telefon im Wohnzimmer und ruft die Polizei an. Spricht mit irgendeiner jungen Frau, die sich selbst noch wie ein Kind anhört. Erzählt ihr von den Schreien. Nennt die Adresse, weigert sich aber, ihren Namen zu nennen. Sie legt auf, weiß, dass es Zeitverschwendung war. Die Cops werden sowieso nichts unternehmen.
Yvonne geht rüber in das stickige Bad, in dem es noch immer nach Vernons morgendlicher Klositzung stinkt, und seift sich unter den Armen und zwischen den Beinen ein, hat nicht die Kraft zu duschen. Sie trocknet sich ab und tappt barfuß ins Schlafzimmer, zieht ein T-Shirt und eine Trainingshose an, weiß, was für einen unmöglichen Anblick sie bietet, aber wer soll sie schon sehen?
Sie sinkt aufs Bett, mit hängenden Armen, starrt auf die tanzenden Staubkörner in einem Lichtstrahl, der durch einen Riss im Vorhang dringt. Sie bleibt so sitzen, bis ihr der Schweiß vom Körper rinnt und das Zimmer der reinste Glutofen ist.
Sie zieht den Vorhang auf, um Luft hereinzulassen, und das Erste, was sie sieht, sind zwei Cops, ein Mann und eine Frau, in ihren graublauen Uniformen und kugelsicheren Westen, die auf den Schuppen nebenan zugehen. Yvonne springt vom Fenster weg, damit sie nicht bemerkt und auch nicht gezwungen wird, sich als Anruferin zu outen.
Sie hört lautes Hämmern gegen die Schuppentür, die Polizistin ruft: »Aufmachen!« Nichts passiert, also schlägt sie wieder gegen die Tür. Yvonne schiebt sich vor, späht durch den Vorhangspalt, fühlt sich sicherer, seit die Cops ihr den Rücken zugewandt haben. Die Frau bückt sich und versucht, durch das einzige Fenster im Schuppen zu spähen, aber es ist mit Pappe verklebt.
Der Polizist hämmert weiter gegen die Tür, und das Wimmern des Kindes fängt an, wird lauter und lauter, wie eine Sirene. Die Frau zieht ihre Waffe, ein dickes Teil in ihrer Hand, und der Mann macht einen Schritt zurück und tritt gegen die Tür, trifft mit seiner Stiefelsohle hoch oben gegen das morsche Holz. Es splittert, hält aber stand. Er macht wieder einen Schritt zurück und tritt erneut zu, und die Tür reißt aus den Drahtschlingen, die sie gehalten haben, und kippt nach innen.
Nun ist menschliche Grausamkeit Yvonne beileibe nicht fremd, nicht nach dem, was sie in diesem Haus durchgemacht hat. Aber so wahr Gott der Allmächtige ist, nie im Leben war sie auf den Anblick gefasst, der sich ihr bietet, als die Tür auffliegt, die helle Sonne denRaum durchflutet und auf das Etwas fällt, das sich auf der Matratze windet, das Etwas, das zu dem Knacki und dem Baby wird, beider Schatten gegen die rissigen Schuppenwände geworfen.
KAPITEL 31
Entsetzen nagt an Exleys Eingeweiden, reißt ihn schreiend aus dem Schlaf. Bewusstsein überfällt ihn, geradezu wie ein Schlag in den Solarplexus, und
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