Stiller Tod: Thriller (German Edition)
er rollt sich in Embryonalhaltung zusammen, versucht, die Rockschöße des Vergessens zu fassen und es zurückzuzerren. Zu spät.
Die Panik katapultiert ihn von Sunnys Bett, und er steht in dem Wust von Spielzeug, ringt nach Luft, sein Herz eine Abrissbirne in der Brust, sein Kopf voller Messerklingen und Blut und Tod.
Er ist schweißüberströmt, und obwohl er ein sauberes T-Shirt und Boxershorts trägt – er erinnert sich nicht, die Sachen ausgezogen zu haben, in denen er den Mord beging –, hängt ihm der Alteisengeruch von Blut in der Nase. Er ballt die linke Hand, fest eingewickelt in Verbandsmull und Fixierpflaster, ein Andenken an die Augenblicke, ehe er Caroline tötete.
Als er noch eine Wahl hatte.
Exley geht zum Fenster und starrt hinaus in die gleißende Helligkeit, ohne einen Schimmer zu haben, wie er den vergangenen Tag auch nur ansatzweise verarbeiten soll. Wünschte, er könnte sich in die praktische Hindu-Phrase flüchten, in der es keine Wirklichkeit gibt, in der alles Maya ist, alles nur Illusion. Eilmeldung: Das ist dein Leben, Nicholas Exley, und es ist verdammt real, okay?
Und dann versucht die alles entscheidende Frage, sich einen Weg in sein Bewusstsein zu prügeln: Wer zum Teufel bist du? Nein, dazu ist er nicht bereit. Nicht jetzt. Okay, sagt er sich, arbeiten wir uns behutsam vor. Versuchen wir lieber auszuklamüsern, wer du nicht bist.
Kein Vater.
Kein Ehemann.
Kein Unschuldiger.
Was zu der unvermeidlichen Antwort auf die erste Frage führt: Er ist ein dreifacher Mörder. Er hat sein Kind durch Nachlässigkeit getötet. Hat seine Frau in einem Moment bewusster Wut getötet. Und er hat diesen obdachlosen Rasta getötet, weil er sich auf Vernon Sauls düsteres Evangelium eingelassen hat.
Das Klingeln an der Haustür schreckt Exley auf, und er nimmt seine Brille vom Nachttisch, stolpert auf den Flur zur Sprechanlage und krächzt: »Ja?«
»He, Nick. Machen Sie auf!« Vernon Saul klingt munter und schwungvoll. Ein echter Kotzbrocken, wie Exleys verstorbener Vater gesagt hätte.
Exley will sich verkriechen, sich irgendwo verstecken und die Welt ohne ihn weiter kreisen lassen, aber er drückt den Knopf, der das Tor öffnet, und geht die Treppe hinunter. Er hat Socken an, und der große Zeh seines linken Fußes lugt durch ein Loch, nackt und rosa. Exley erreicht die unterste Stufe und bleibt stehen, seine motorischen Nerven zucken bei dem Anblick, der ihn erwartet: Das freundliche Morgenlicht bescheint das Grauen in seiner Küche.
Exley staunt über die Menge Blut. Der Fliesenboden schwimmt davon, das Plasma braun und zäh getrocknet. An Küchenschränken und Theke kleben wilde Jackson-Pollock-Spritzer. Der Sekundenzeiger der Wanduhr tickt unverdrossen unter einem Glas, das zur Hälfte blutverschmiert ist. Auf dem Kühlschrank prangt ein roter Handabdruck. Exley widersteht der Versuchung hinüberzugehen und seine Hand danebenzuhalten, um festzustellen, ob er von ihm oder Caroline stammt.
Lautes Klopfen an der Haustür setzt Exley ruckartig in Bewegung, und er folgt der dunklen Blutspur, die die Cops und Kriminaltechniker in den labradorfarbenen Teppich getreten haben. Als er die Tür öffnet, sieht er rechts und links von Vernon zwei braune Männer in blauen Overalls, jeder mit einer großen Tasche über der Schulter.
»Nick, das sind Dougie und Oscar. Die reinigen Tatorte. Hab siemitgebracht, damit sie Ihre Küche wieder auf Vordermann bringen.« Die beiden Männer nicken, betrachten Exley mit Augen, in denen keinerlei Neugier liegt.
Exley tritt zurück, und Vernon wuchtet sich ins Haus. »Nick«, sagt er, »ich würde vorschlagen, Sie entspannen sich ein bisschen in Ihrem Computerraum. Ich zeig den beiden, wo alles ist, und dann können wir uns unterhalten, okay?« Ohne die Antwort abzuwarten, verschwindet er Richtung Küche, dicht gefolgt von den beiden Männern.
Exley fällt nichts Besseres ein, also geht er nach unten zum Studio und schiebt die Tür auf. Die Dunkelheit umfängt ihn, der Raum ist still bis auf das Summen der Workstation. Er schließt die Tür, sinkt in den Aeron-Sessel, lässt sich von ihm einhüllen. Er schließt die Augen, versucht, durch die grässlichen Bilder hindurchzuatmen, die sein Gedächtnis ihm unaufhörlich liefert, versucht, auf Distanz zu bleiben.
Die Tür wird mit einem dumpfen Schlag geöffnet, und Vernon kommt laut schnaufend hereingepoltert. Er stinkt nach billigem Aftershave und Haargel und lässt sich in einen der Sessel fallen, der
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