Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
war es recht, er liebte weder öffentliche Auftritte noch die spontanen O-Töne, hinter denen die Funkmedien her waren. Ein Mikro vor seiner Nase genügte, und die Worte fielen so hölzern aus seinem Mund wie Bauklötze.
Possmann dagegen schlug sich an der Mikrofonfront gut, das musste Strobel gestehen. Wie ein Profi hatte er eine Hand in die Hosentasche gesteckt und die andere locker aufs Rednerpult gelegt. Sein gebräuntes Gesicht war gepudert, damit er im heißen Licht der Scheinwerfer nicht glänzte, das weiße Haar hatte er schwungvoll zurückgebürstet. Die Zahnreihe seines breiten Unterkiefers funkelte wie gebleicht, der Krawattenknoten saß perfekt. Er war optimal vorbereitet, hatte einen seiner eigenen Mitarbeiter mitgebracht, der den Beamer bediente und den Vortrag sowie seine Antworten auf die Fragen der Journaille mit den passenden Bildern unterlegte.
Als Letztes präsentierte er die Kriminalstatistik, Possmanns Lieblingsfolie: Die Untermainregion hatte eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in Bayern und die höchste Aufklärungsquote. Beides galt ebenso für den Vergleich mit dem hessischen Teil des Rhein-Main-Ballungsgebiets. Und jetzt – zwei Mordfälle innerhalb einer Woche, beide noch ungelöst: Das gab Flecken auf Possmanns weißer Weste, Strobel wusste das. Die obligatorische Bitte an die Presse, die Ermittlungsbehörden zu unterstützen, war selten so ehrlich gemeint.
Viel hatte Possmann nicht anzubieten. Die Kripo hatte Kempfs letzten Weg rekonstruiert, er hatte die Schöntalweinstuben am Vorabend etwa um halb zehn verlassen, den üblichen Weg durch den Park gewählt, aber den Ausgang nicht erreicht. Auf seinen Mörder war er am See unweit der Klosterruine gestoßen. Vermutete Tatzeit: gegen zweiundzwanzig Uhr.
Ja, es gab Spuren, nach denen sich jemand längere Zeit hinter einer Hecke in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte. Das müsse aber nicht heißen, dass jemand Kempf aufgelauert habe, es könne sich auch um einen Wohnsitzlosen oder um ein Liebespaar gehandelt haben. Das gebe es im Schöntal häufig. Ja, das Opfer war ausgeraubt worden, zumindest fehlte die Geldbörse, mit der Kempf zuvor bezahlt hatte.
Auf einem Punkt ritt vor allem der Korrespondent der Bild-Zeitung herum. Er wollte aufgeschnappt haben, dass der Aschaffenburger Schöntalpark bei Nacht diverse »Sicherheitslücken« aufweise. Possmann dementierte wortreich, verwies auf die gemeinsamen Anstrengungen von Polizei und Stadt, um die Probleme mit Alkohol, Drogen und Jugendgangs zu beseitigen. Letztlich wollte er jedoch nicht ausschließen, dass es sich beim Mord an Kempf um eine Zufallstat gehandelt haben könnte, die aus diesen Kreisen heraus verübt worden war.
Ja, der Täter hatte eine Drahtschlinge benutzt, nach den Erkenntnissen der Gerichtsmedizin war der Draht etwa einen Millimeter stark. Ja, von der Tatwaffe fehle jede Spur. Nein, Zeugen hatten sich noch nicht gemeldet. Ja, selbst wenn es sich hier möglicherweise um Raubmord handeln sollte, werde überprüft, ob es einen Zusammenhang mit dem Mord in der Kleingartenanlage gebe.
Bereitwillig gab Possmann auch zum Fall Strunke Auskunft. Die gute Arbeit von Kripo und Staatsanwaltschaft zeige sich darin, dass es bereits eine Festnahme gegeben habe. Die Spur habe sich allerdings als »nicht zielführend« erwiesen. Strobel bewunderte, wie geschickt Possmann diesen Fehlschlag auf die Erfolgsseite buchte.
Schließlich bot er den Medienvertretern von außerhalb an, sich mit ihren Kontaktdaten in eine Liste einzutragen. Sie würden dann über neue Entwicklungen »zeitnah« informiert. Alle nutzten das Angebot, obwohl sich mehrere Teams in Aschaffenburger Hotels eingemietet hatten, um noch ein oder zwei Tage vor Ort am Ball zu bleiben. Strobel wusste ebenso gut wie Possmann: Länger würde das Interesse der Medien auch nicht anhalten, mit oder ohne Täter. Die nächste Sau wartete darauf, durchs Dorf getrieben zu werden.
Nach der Pressekonferenz ging Possmann mit in Strobels Büro. Sie riefen Bühler zu sich.
»Gibt es schon etwas Neues, was die Theorie dieses Herrn Stiller betrifft?«
»Wir haben überprüft, ob und mit wem Kempf nach dem Frühschoppen telefoniert hat.« Bühler lehnte an seinem Lieblingsplatz am Fenster und verschränkte die Arme. »Es gab nur einen Anruf von seinem Apparat aus. Gegen acht, also eine halbe Stunde, bevor Kempf erneut in den Schöntalweinstuben erschien.«
»Wen hat er angerufen?« Strobel klappte sein Notizblöckchen
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