Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
sie.
Scherer hatte sich wieder gesammelt. »Deshalb weiß ich auch, wie viel es dir bedeutet, dass dich so viele Menschen auf deinem letzten Weg begleiten. Ein Wegbegleiter, das bist du für uns immer gewesen, fürsorglich, offen und, wenn es sein musste, auch kritisch. Du hast uns begleitet auf dem Weg zu jenem Ziel, das deine Vision war: Jede Familie sollte über einen eigenen Garten verfügen können. Auch Familien einfachen Standes und geringen Einkommens sollten davon nicht ausgeschlossen sein. Ihnen ein Refugium zu schaffen, darin hast du deine Aufgabe gesehen. Ein Refugium, in dem sich die Menschen verstehen und gegenseitig beistehen. Diese innere Harmonie war dir ebenso ein Anliegen wie die äußere, die Harmonie mit den gärtnerischen Vorschriften. So hast du stets auch auf den Einklang von Gartenarbeit und Freizeitnutzung geachtet, von Bio und Wellness sozusagen, Begriffe, von denen heute alle reden und die dir früher als allen wichtig waren.«
Stiller nutzte Scherers Ausflug in die Rechte und Pflichten des Kleingärtners, um leise nachzufragen: »Worum ging’s denn?«
Gerti Blum zuckte die Achseln. »Brauchte Strunke einen Grund?«, fragte sie zurück.
»Sicher haben es dir nicht alle gedankt«, sagte Scherer. »Gerade Menschen, denen du besonders vertraut, die du geliebt hast, haben sich von dir abgewandt.«
Stiller sah, wie Ursula Strunkes Schultern bebten. »Nicht gerade mitfühlend von Scherer«, flüsterte er.
Gerti Blum nickte. »Strunke würde sich jedenfalls im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass Scherer den Vorsitz übernehmen will.«
Mooser sah sie vorwurfsvoll an. Sie schwiegen und konzentrierten sich wieder auf Scherers Rede.
»… keiner von uns gewesen sein, der dich so brutal aus unserem Kreis gerissen hat. Das Radieschenparadies hat dich verloren, doch dir steht der Garten Eden offen. Endlich hast du das Paradies gefunden, aus dem dich auch der Tod nicht mehr vertreiben kann, dein Fleckchen Erde, das von anderen bestellt wird, während du in Frieden ruhst. Das wünsche ich dir im Namen deiner Freunde, deiner Vereinsbrüder und Wegbegleiter.«
Scherer trat einen Schritt nach vorn, ergriff den Tannenzweig in der Weihwasserschale und sprenkelte ein Kreuzzeichen über den Sarg. Dann steckte er das Mikrofon ins Stativ und reihte sich bei den Gärtnern ein, ohne die Witwe eines Blickes zu würdigen.
»Wieso sollte er nicht den Vorsitz übernehmen?«, fragte Stiller, während er Scherer im Auge behielt.
»Meinetwegen kann er das gerne.« Gerti Blum hauchte nur noch, auch sie wollte nicht von Scherer gehört werden. »Ich glaube, niemand hat etwas dagegen. Aber Strunke hätte es bestimmt nicht gewollt.«
»Ist ja logisch«, sagte Stiller mehr zu sich selbst. »Strunke hatte den Posten schließlich inne. Den wollte er sich wahrscheinlich nur ungern streitig machen lassen.«
»Das meine ich nicht«, entgegnete Gerti Blum. »Ich meine, dass er Scherer loswerden wollte.«
Der Organist gab auf dem Harmonium einen Akkord vor.
»Sicher?«
Sie wiegte leicht den Kopf. »Sicher weiß ich das nicht. Aber bei der letzten Vorstandssitzung, da hab ich so was aufgeschnappt …«
»Pst!«, zischte Froese.
Unterstützt vom Harmonium sang die Gemeinde das Feierabend-Lied. Stillers Kollege Harald Ammerschläger vom Ressort Kirche hatte im letzten November, dem Totenmonat, eine Reportage über die beliebtesten Lieder bei Beerdigungen geschrieben. »’s is Feierobend« rangierte demnach auf Platz eins. So vielstimmig klang es tatsächlich ergreifend, gestand Stiller sich ein. Die Menge empfand es ebenso. Bei der Textzeile »… zieht übers stille Grab ganz sacht ein heimlich Klagen hin« kramten reihum Trauergäste Taschentücher heraus, wischten sich über die Augen und schnäuzten sich.
Das Lied verklang. Vier Bestatter schlüpften aus dem Seiteneingang die Halle, räumten geschwind die Blumen vom Sarg und schoben ihn über den Vorplatz davon. Der Pfarrer, der Ministrant und Ursula Strunke folgten ihm. Nach und nach schlossen sich die übrigen Trauergäste dem Zug an.
OB Fürst steuerte mit langen Schritten auf Stiller zu, der erschrocken zur Seite trat und sich ein wenig von den Gärtnern entfernte.
»Herr Stiller«, rief Fürst. »Schön, dass Sie …«
Unvermittelt tauchte Kleinschnitz auf und ging dazwischen. »Darf ich mal?« Er legte die Kamera auf den Oberbürgermeister an. Stiller nickte ihm dankbar zu.
Fürst posierte kurz, kam aber wieder auf Stiller zurück. »Sicher wollen Sie
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