Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Mit der anderen Hand nahm er sein Handy.
Ruth hielt ihn zurück. »Du wirst den armen Mann doch nicht am Sonntagvormittag stören wollen, so verkatert, wie du bist?«
»Sonntag, stimmt.« Mit einem Knall schlug Stiller das Telefonbuch zu. Ruth und die Kinder zuckten zusammen. »Der letzte im Monat, oder? Wie spät ist es?«, fragte er in die Runde.
»Gleich elf«, antwortete Jan.
»Gut.« Stiller spülte mit einem großen Schluck Kaffee den Tablettengeschmack hinunter. »Dann weiß ich, wo ich ihn finde. E-A-F.«
»Was soll das jetzt wieder heißen – Erste Allgemeine Ferunsicherung?«, fragte Charlotte.
»E-A-F, Ex-Amtsleiter-Frühschoppen.« Stiller trank noch einen Schluck und stand auf. »In einer Stunde bin ich zurück. Kümmert ihr euch schon mal um das Fleisch für die Sippe.«
Als er die Küche verließ, hingen die Blicke der Sippe an seinem Rücken wie Fragezeichen.
18
Die Schöntalweinstuben galten stadtweit als beliebtes Domizil für Stammtische aller Art und Generation: Elterngruppen der beiden Gymnasien in der Nachbarschaft, Frauencliquen, die hier den Einkaufsbummel ausklingen ließen, und etliche Feierabendgesellschaften, die nach der Arbeit auf einen Absacker hereinschneiten. Doch vor allem Schoppenrunden mit betagtem Teilnehmerkreis hatten sich das Ecklokal am Park Schöntal im Zentrum der Stadt zum zweiten Wohnzimmer erkoren.
Stiller hatte oft gerätselt, woran das lag, und meinte die Gründe zu kennen: Die Schöntalweinstuben hatten zwei Altenheime im Rücken und waren von dort aus auch für weniger rüstige Rentner leicht erreichbar. Zudem zog der Gründerzeitstil des Hauses eher Besucher an, die das Altbackene liebten, weil sie selbst schon in dieser Liga spielten. Die Gaststube bot das passende Ambiente, gut gepflegt, aber doch ein wenig gestrig.
Wohl auch deshalb trafen sich die ehemaligen Referenten, Amts- und Sachgebietsleiter der Stadtverwaltung zu ihrem monatlichen Frühschoppen in den Schöntalweinstuben. Dabei hätten sie ihr Stammlokal durchaus im Schatten ihrer früheren Arbeitsplätze finden können: Aschaffenburg hatte im Verhältnis zur Einwohnerzahl die höchste Gaststättendichte in Bayern, und die meisten Kneipen ballten sich in der Altstadt rings um das Rathaus aus den fünfziger Jahren.
Ein paar Stufen führten vom Eingang zur Gaststube hinauf. Drinnen war es dämmrig, und wie das Licht schienen auch die Geräusche gedämpft. Obwohl nahezu alle Tische besetzt waren, hörte Stiller nur dumpfes Murmeln, in das sich das leise Klingen von Gläsern mischte, die hier und da zusammengestoßen wurden. Lediglich im Nebenzimmer brandete lautes Lachen auf. Das war die Runde, die er suchte. Die Blicke des Wirts folgten ihm, während er durch die Gaststube schritt und das Nebenzimmer betrat.
Ein herzliches Hallo schallte ihm entgegen. »Welch hoher Besuch!«, »Sieh an, die Presse!«, »Ich sag’s doch, Hajo, wir sind noch wichtig!«
Acht Ehemalige, ausschließlich Männer, saßen um den rustikalen Tisch. Hajo war der Ranghöchste, einst Rechtsreferent der Stadt, der zweite Mann nach dem Oberbürgermeister. »Gott zum Gruß, Herr Stiller«, rief er und rollte jedes »r« wie ein Bayer. »Hierher, trinken Sie einen Krug mit uns!«
Stiller klopfte zur Begrüßung mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte und quetschte sich auf die Eckbank.
»Na, er sieht auch schon ein Stück älter aus.« Der frühere Kämmereichef hatte die Angewohnheit, Fremde nicht zu siezen, sondern in der dritten Person anzusprechen. »Wie viel fehlt ihm denn noch bis zum Ruhestand?«
»Knapp zwei Jahrzehnte. Und danke fürs Kompliment.« Stiller lachte mit. Er wusste, dass der Frühschoppen vor einer Stunde begonnen hatte und jedes Glas die Stimmung steigen ließ.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, tröstete ihn der ehemalige Sportamtsleiter. »Grau werden Sie von alleine. Aber den Ruhestand, den müssen Sie sich erst schwer erarbeiten.«
Hajo lehnte sich zur Seite und winkte durch die Türöffnung zur Theke. »Wirtschaft, noch ein Glas für die Presse. Vom Ortega. Geht auf mich.«
»Nicht doch«, wehrte Stiller ab.
»Ist schon in Ordnung.« Hajo schnalzte genüsslich mit der Zunge und ließ ein »Der Ortega ist grandios, ein großer Jahrgang« über die Lippen rollen.
»Was führt Sie denn zu uns?«, fragte der frühere Bauamtsleiter Kempf.
»Eigentlich hatte ich gehofft, genau Sie hier zu treffen«, sagte Stiller wahrheitsgemäß, während der Wirt das Weinglas vor ihm absetzte.
»Jetzt lass
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