Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
ihn doch erst mal trinken, Reinhold«, schaltete sich der Sportamtsleiter ein. »Prost.«
Sie stießen an und tranken. Alle hoben ihr Glas noch einmal, bevor sie es abstellten.
»Und«, fragte Hajo, »zufrieden mit meiner Wahl?«
Stiller nickte. Hinter seinen Schläfen begann es wieder zu pochen.
»So, jetzt aber«, sagte der frühere Ordnungsamtsleiter. »Wir platzen vor Neugier.«
Stiller räusperte sich. »Ich brauche wieder einmal Ihr Gedächtnis.«
»Oje!«, kam es aus der Ecke, die der ehemalige Kulturreferent besetzt hielt.
»Ich meine weniger das Kurzzeitgedächtnis.« Stiller kniff ein Auge zu. »Ich glaube, es handelt sich um eine sehr alte Geschichte.«
»Ja dann!«
Stiller entschied sich, mit der Tür ins Haus zu fallen. »Es geht um die Kleingartenanlage Radieschenparadies. Ist es möglich, dass es für das Gelände einen alten Bebauungsplan gibt?«
»Radieschenparadies«, wiederholte der einstige Sportamtsleiter. »Das ist die Anlage, in der es den Toten gegeben hat. Herr Stiller ist scheint’s wieder mal auf Mörderjagd.«
Der Liegenschaftsamtsleiter lehnte sich zurück. »Ein Bebauungsplan da hinten am Schönbusch? Reinhold, weißt du was davon?«, wandte er sich an Kempf.
»Irgendwas klingelt bei mir.« Kempf grübelte. »Aber das ist verdammt lange her, bestimmt ein Vierteljahrhundert.«
»Richtig.« Hajo schnippte mit den Fingern. »Da gab es einen Bebauungsplan. Der hatte meines Wissens sogar Rechtskraft.«
»Das heißt …?«
»Es gab grundsätzlich Baurecht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Plan heute noch existiert.«
»Was war denn damit?«
»Das gesamte Areal gehört der Bahn«, erläuterte Kempf. »Es war damals schon als Kleingartenanlage ausgewiesen, in der Fachsprache heißt das ›gewidmet‹. Um Bauland daraus zu machen, hätte die Bahn das Gelände also erst entwidmen müssen. Soweit ich mich erinnere, war sie dazu aber nicht bereit. Sie wollte die Kleingartenanlage für Eisenbahner erhalten. Dadurch ist der Bebauungsplan nie rechtswirksam geworden.«
Stiller zog Stenoblock und Füller aus der Tasche. »Der Plan hatte Rechtskraft, er war aber nicht rechtswirksam? Was heißt das denn?«
Kempf winkte ab. »Och, das haben Sie häufig. Die Stadt stellt einen Bebauungsplan auf, zieht das komplette Verfahren durch. Doch kaum gibt es Baurecht, ist auf einmal die Erschließung zu teuer, oder die Grundstückseigentümer spielen nicht mit, wie in Ihrem Beispiel die Bahn. Was macht die Stadt? Sie legt den Plan erst mal in die Schublade, dann in den Schrank und schließlich in den Keller. Sie glauben gar nicht, wie viele Bebauungsplanleichen da unten begraben sind.«
»Aber die Rechtskraft bleibt erhalten?« Stiller notierte fleißig mit.
Hajo klatschte in die Hände. »Bravo, Herr Stiller, Sie lernen schnell. Das Baurecht bleibt. Es sei denn, der Stadtrat hebt den Plan wieder auf.«
»Könnte ich mich also heute auf den damaligen Bebauungsplan berufen, wenn ich in der Kleingartenanlage bauen wollte?«
»Ein trockenes Thema«, warf der frühere Sportamtsleiter ein. »Prost.«
Sie tranken erneut, dann griff Hajo den Faden auf: »Heute? Am Nilkheimer Bahnhof – das ist leider undenkbar.«
Stiller sah ihn fragend an.
»Erstens, der Bebauungsplan müsste überhaupt noch existieren. Zweitens, die Bahn müsste das Areal entwidmen, also die Kleingartennutzung förmlich aufgeben. Drittens, wenn sie das täte, würde der Stadtrat den Bebauungsplan sofort aufheben.«
»Und warum?«
Hajo gab dem Wirt Zeichen für eine neue Runde Wein. »Die Stadt würde heute da hinten kein Baugebiet mehr zulassen. Der Standort ist nicht ins Stadtgebiet integriert, das Areal wird durch die Hafenbahn von der Nilkheimer Siedlung getrennt. Außerdem liegt es viel zu nahe am Park Schönbusch, das bringt nur Ärger mit der bayerischen Schlösserverwaltung. Und zu allem Überfluss nistet dort auch noch der Steinkauz.«
»Oh ja, der Steinkauz!« Kempf nickte. »Der verhindert heute jedes zweite Baugebiet.«
»Vergiss nicht die Zauneidechse«, rief der ehemalige Liegenschaftsamtsleiter.
»Und den Ameisenbläuling«, fügte der frühere Sportamtsleiter hinzu. »Ich hab mir Bauerwartungsland im Kühruhgraben gekauft. Plötzlich flatterte da der Ameisenbläuling herum. Aus war’s. Jetzt besitze ich eine der teuersten Wiesen Aschaffenburgs.«
»Das ist so ein Beispiel«, sagte Hajo. »Der Kühruhgraben, das war ein rechtskräftiger Bebauungsplan. Aber der Stadtrat hat ihn aufgehoben, bevor
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