Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Nacht verrufen war. Wenige Lampen beleuchteten die Wege. Hecken und Sträucher schufen dunkle Ecken und unübersichtliche Winkel. In den Nischen zwischen den Büschen standen Bänke. Auf einer saß ein Pärchen und knutschte. Er schrak zusammen, als die Frau leiste stöhnte. Die beiden bemerkten ihn nicht, während er im Vorübergehen flüchtig hinsah. Die Hand des Mannes war unter den Rock der Frau geglitten. Kempf fühlte sich erregt; es gab so vieles, was er vermisste. Schnell schritt er weiter.
Schwarz lag der erste See vor ihm. Enten schraken schnatternd auf, ihre Flügel peitschten das Wasser, während sie sich in die Luft schwangen. Ein anderes Geräusch mischte sich in das Rauschen, lauschend hielt er inne. Jemand folgte ihm, Schritte knirschten auf dem Kiesweg. Er drehte sich um.
Aus der Dunkelheit schälte sich ein Mann, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Oberkörper vorgebeugt. Kempf blieb stehen, war plötzlich unfähig, sich zu rühren. Der Mann kam rasch näher. Als er ihn erreicht hatte, deutete er ein kurzes Nicken an. Ohne anzuhalten, stapfte er davon.
Kempf entkrampfte sich, schalt sich für seine Angst. An der dunklen Kreuzung zwischen den beiden Seen hielt er erneut an. Wieder knirschte Kies, anders diesmal. Unvermittelt raste ein Fahrrad auf ihn zu, ohne Licht. Der Fahrer bremste scharf, der Hinterreifen brach aus und sprengte den Split auf.
»Hey, alter Depp!«, schrie der Fahrer. »Was stehste’n im Weech?« Fluchend trat er wieder an.
Kempf ging langsam weiter, bald hatte er den zweiten See vor sich. Fahler Nebel stieg über dem Wasser auf, verwischte die Konturen der Insel. Die Mauern der Klosterruine schienen zu schweben, schroff brachen sie oben ab, schwarz vor dem Nachthimmel, den die Lichter der Stadt rötlich färbten. Auf der Insel schrie ein Pfau, es klang wie das Miauen einer Katze. Es raschelte im Gebüsch, das den Weg vom Stadtgraben trennte; vermutlich ein Eichhörnchen. Kempf blieb stehen und suchte mit den Augen das Gebüsch ab. Er war jetzt ruhiger, der Ausgang lag keine hundert Meter weit entfernt.
Abermals ließ ihn ein Knirschen zusammenfahren. Vorsichtshalber trat er etwas zur Seite und sah über die Schulter zurück. Er erkannte einen Mann und wunderte sich für einen Augenblick, dass er schon so nah war. In der Stille trugen die Geräusche weit, er hätte ihn viel früher hören müssen. Es beunruhigte ihn noch mehr, dass der Fremde nicht an ihm vorbeiging, sondern ebenfalls stehen blieb.
»Herr Kempf?«, fragte er.
Kempf kannte ihn nicht, auch die Stimme sagte ihm nichts. Er wollte sich umwenden und wortlos weitergehen, doch dann siegte die Neugier. »Ja«, sagte er. »Wer …?«
Der Mann trat nahe an ihn heran.
Kempf löste den Blick vom Gesicht des Fremden und ließ ihn hinabwandern. Als er die Hände sah, weiteten sich seine Augen. »Was wollen Sie?«, rief er. Dann schnellte er herum, versuchte wegzulaufen. Sein rechter Fuß glitt auf dem Kies aus. Er fing sich und begann zu rennen. Der Knöchel schmerzte, doch er achtete nicht darauf. Er achtete nur noch auf den dunklen Bogen, auf den er zulief, das Tor in der Stadtmauer.
Dann wurde sein Lauf abrupt gestoppt, etwas riss ihn zurück, Schmerz explodierte in seinem Hals. Er wusste, er würde den Ausgang in die Stadt und das Leben dahinter nicht mehr erreichen.
19
»Name?«
»Karin Weißkopf.«
»Adresse?«
»Bachstraße 12, Großostheim.«
»Einverstanden, dass ich das Gespräch aufzeichne?«
»Wenn’s der Wahrheitsfindung dient …« Sie lächelte.
Strobel schnitt eine Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte. Er hatte es längst aufgegeben, mitzuzählen, wie oft er diesen Spruch schon gehört hatte. Wenn’s nicht der Wahrheitsfindung diente, müsste diese Frau – er warf einen Blick auf sein Notizblöckchen – Weißkopf gar nicht hier sitzen. Die Aufzeichnung des Gesprächs diente lediglich dazu, einen Protokollanten einzusparen. Es war früher Morgen, kurz nach sechs. Um diese Uhrzeit war die Polizeidienststelle nur mit einem Minimum an Personal besetzt, und die Wache hatte gerade Schichtwechsel.
»Ihre Aussage ist von einiger Bedeutung«, erklärte er hölzern. Sein Ton blieb ernst und knapp, fast aggressiv. Das lag nur zu einem kleinen Teil daran, dass ihn der Anruf der Streife um fünf aus dem Schlaf gerissen hatte. Schwerer wog schon Sabines enttäuschtes Gesicht, als er aus dem Bett und in die Kleider gesprungen war. Wieder war ein gemeinsames Frühstück futsch und
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