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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Negerin, Ende zwanzig, Anfang dreißig. Könnte das Ihre Schwester sein?«
    »So gut wie sicher. Könnten Sie mir sagen, in welchem Zimmer sie liegt?«
    »Einen Moment.« Diesmal dauerte es nicht so lang. »Sir, laut unseren Unterlagen ist Miss Davis nicht mehr in dieser Klinik.«
    »Können Sie mir sagen, wo sie ist?«
    »Es handelt sich um Ihre Schwester, sagten Sie?«
    »Ja.«
    »Na ja, dann kann ich’s Ihnen vermutlich getrost sagen. Miss Davis wurde am Montag aus unserer psychiatrischen Abteilung in die staatliche Klinik in Mandeville verlegt.«

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    12
    Fast wäre ich mitten auf dem Lake Pontchartrain umgekehrt und zurückgefahren. Es schüttete wie aus Eimern. Draußen auf dem Dammweg, als weit und breit kein Ufer mehr zu sehen war, fragte ich mich nur eins: Willst du es wirklich wissen? Diese sechsundzwanzig Meilen waren die längste Fahrt meines Lebens.
    Ich fuhr durchs Tor und hielt mich an die Wegweiser mit der Aufschrift AUFNAHME. Hielt vor einem grün gestrichenen Bimssteinbau, stieg aus und ging rein. Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen hatte, teilte man mir mit, dass Dr. Ball in Kürze für mich zu sprechen sein würde. Das Wartezimmer war voll, vermutlich lauter Patienten. Vermutlich hielten sie mich auch für einen. Ein Psychiater, zu dem ich seinerzeit mal gegangen war, als ich alles Mögliche versuchte, damit meine Ehe und mein Leben nicht restlos in die Binsen gingen, sagte mir, dass ich eigentlich hierher gehörte.
    »In Kürze« dauerte eine Stunde und ein paar Zerquetschte. Die Zeit vergeht hier drüben ein bisschen langsamer, nehme ich an.
    »Tut mir leid, dass ich Sie so lange habe warten lassen, Mister Griffin«, sagte Dr. Ball, als ich schließlich in sein Büro geleitet wurde, »aber wie Sie sehen, haben wir hier sehr viel zu tun.« Nördliches Mississippi, dem Akzent nach zu schließen, auch wenn er durch Studium und Ehrgeiz abgeschliffen war. Er ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder. »Nun, was kann ich für Sie tun?«
    »Sie haben hier eine Patientin, die sich Blanche Davis nennt«, sagte ich.
    »Davon muss ich mich erst überzeugen.«
    »Würden Sie das bitte tun?«
    Er griff zum Telefon und wählte drei Ziffern, nannte ihren Namen, hörte zu.
    »Sie haben recht, Mister Griffin«, sagte er, als er den Hörer wieder auflegte. »Sie befindet sich auf Station E.«
    »Könnten Sie mir vielleicht sagen, was mit ihr los ist?«
    »Sie sind ein Verwandter, glaube ich?«
    »Ihr Bruder.«
    »Nun denn. Ich wünschte, wir wüssten, was mit ihr los ist – so weit dazu. Wissen wir aber in den seltensten Fällen. Ich kann Ihnen lediglich sagen, dass sie über die Maßen getrunken hat. Sie hat frische Einstiche an den Armen, in den Kniekehlen. Aber ich fürchte, sie hat sich innerlich zu sehr abgeschottet, als dass sie uns Näheres dazu mitteilen könnte. Vielleicht bewirkt Ihr Besuch etwas.« Er nahm einen Stift und tippte damit einmal auf den Schreibtisch, ganz leicht. »Wir befürchten, Mister Griffin, dass sie womöglich schizophren ist.«
    »Ich verstehe.« Stimmte nicht.
    »Möchten Sie sie sehen?«, sagte Dr. Ball einen Moment später.
    »Ist das denn möglich?«
    »Durchaus. Vielleicht bekommt es ihr gut. Uns allen. Wir möchten auf keinen Fall, dass unsere Patienten den Bezug zu ihrer Familie verlieren, soweit vorhanden. Ich rufe einen Wagen, der Sie zur Station rüberbringt.«
    Ich wartete draußen, bis etwa zehn Minuten später ein Pritschenwagen vorfuhr. Es war eine alte Kiste mit Holzpaneelen, genauso grün wie das Gebäude. Der Fahrer war ein fröhlich wirkender junger Mann mit langen Haaren. Vermutlich dachte er, ich wäre ein Patient.
    »Station E?«, sagte er, als ich einstieg.
    »Station E.«
    Damit war unser Gesprächsstoff erschöpft.
    Er kurvte über das Gelände und hielt schließlich vor einem anderen grünen Bau mit riesigen Fenstern und überdachten Gehwegen, die in alle möglichen Richtungen führten.
    »Das da«, sagte der Fahrer.
    Ich stieg aus und ging zur nächstbesten Tür. Allerlei Flure, die auf ein Zimmer zu meiner Linken zuliefen, wo etliche Leute saßen, Zeitschriften lasen oder Fernsehen guckten. Ich ging rein und wieder raus, steuerte ein Kabuff an, das entweder das Schwesternzimmer war oder das Kassenhaus. Mrs Smith, Stationsschwester, stand auf und kam raus.
    »Sie sind vermutlich Mister Griffin«, sagte sie. »Doktor Ball hat Sie telefonisch angekündigt. Ich bringe Sie zu ihr.«
    Wir gingen durch eine Tür und kamen in einen

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