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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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wusste, wie es war. Ich hatte es eine Zeitlang selber probiert, als ich bei der Militärpolizei gedient hatte. Dann kamen die Army und ich zu einer Übereinkunft: Die verzichteten darauf, mich vors Kriegsgericht zu stellen und in eine psychiatrische Klinik zu schicken, wenn ich aufhörte, andern den Schädel einzuschlagen, und wieder nach Hause ging. Seinerzeit hatte ich den Eindruck, dass mir noch nie jemand ein besseres Angebot gemacht hatte.
    Ich verdrückte mich aus dem Polizeipräsidium und schwärmte aus. Erst zu den Absteigen im Quarter, in die es anscheinend alle Welt zog, dann zu denen in Uptown. Schauspielerin, dachte ich ein ums andere Mal. Alles, was ich aus der Theaterszene von New Orleans kannte, war Nobody Likes a Smartass , ein Stück, das offenbar seit der Zeit, da Bienville die Stadt gegründet hatte, ununterbrochen (und überall) gespielt wurde.
    Gegen drei Uhr nachmittags ging ich schließlich, mit einem Sandwich aus der Central Grocery ausgerüstet, auf den Jackson Square.
    Ich war lange nicht mehr da gewesen, aber viel hatte sich nicht verändert. Beim Springbrunnen spielte eine Horde Bluegrass-Musiker. Auf dem Gras daneben lagen etliche Hippies oder Freaks oder wie immer sie sich dieser Tage nannten – sie hatten jedenfalls lange Haare und trugen schrille Klamotten. Ich schaute mir ein paar Mädchen in abgeschnittenen Jeans und Trägerhemdchen an und fühlte mich mit einem Mal alt. Alt und müde. Herrgott, dachte ich, gerade mal dreißig geworden, und die kommen mir wie Kinder vor.
    Ich machte mit meinem Bild die Runde, ließ mich dann auf einer Bank neben einem besonders reizenden Exemplar der Gattung großes Kind nieder und aß mein Sandwich.
    Ich wartete.
    Nach etwa einer Stunde gab ich’s auf – jede Menge Ablenkung und dazu das dumpfe Gefühl, dass die Welt letztendlich vielleicht doch nicht so schlecht war, aber keine Cordelia – und schlenderte rüber zur Kathedrale. Ich weiß nicht, warum. Jedenfalls machte ich, kaum dass ich durch die Tür war, etwa da, wo allerhand Plunder für Touristen verkauft wird, kehrt und ging wieder raus.
    Bis 1850 oder so hatte der Jackson Square Place d’Armes geheißen, und hier waren ein Jahrhundert zuvor, als die Stadt unter spanischer Herrschaft stand, die Rädelsführer der aufmüpfigen Franzosen hingerichtet worden. Ein paar Straßen weiter landeinwärts, am Congo Square, durften die Sklaven Musik spielen und anderes mehr treiben, das ansonsten durch den Code Noir verboten war, und Marie Laveau, femme de couleur libre , hielt dort sonntags regelmäßig als Hohepriesterin bei den Voodoo-Ritualen hof. Schauplätze unserer ruhmreichen Geschichte. Die Laveau soll übrigens mit Alligatoren verkehrt haben. Offensichtlich ein Höllenweib.
    An diesem Abend gingen LaVerne und ich im Commander’s Palace essen. Forelle in Mandelkruste, weil es dort die besten der ganzen Stadt gab, und ein Mouton-Rothschild, weil uns danach zumute war. Der Weinkellner wirkte anfangs ein bisschen stofflig, aber im Laufe des Abends wurde er immer freundlicher, je röter sein Gesicht wurde.
    »Kennst du eine Schauspielerin namens Willona?«, fragte ich Verne irgendwann.
    »Kann ich nicht behaupten, Lew. Aber hier gibt’s jede Menge Mädels, die sich als Schauspielerinnen bezeichnen.«
    Wir widmeten uns wieder dem Wein und der Plauderei.
    Gegen zwei Uhr morgens klingelte Vernes Telefon, und sie wälzte sich rüber und ging ran. Ich hörte eine tiefe, fast grollende Stimme aus dem Hörer dringen, verstand aber kein Wort.
    »Ja, Schätzchen?«, sagte Verne. Wieder das Grollen. »Wirklich? Bisschen spät für ’n Mädchen wie mich, solltest mir lieber eher Bescheid sagen … Ja, klar, Schätzchen, verstehe, natürlich mach ich das … Ja, ich weiß, wo das ist … Ich komm hin, klar … Lass mir dreißig, fünfunddreißig Minuten Zeit, ja?«
    Sie legte auf.
    »Ich muss los, Lew«, sagte sie. »Einer meiner Stammkunden.«
    Ich nickte, und sie schwang sich aus dem Bett und ging zum Kleiderschrank. Dort hingen mehr Klamotten als im Maison Blanche.
    Ich wartete, bis sie weg war, stand dann auf, zog mich an und fuhr nach Hause.

3
    Zu Hause war ich dieser Tage in einer Vierzimmerwohnung an der St. Charles Avenue, wo spätabends noch die Straßenbahn vorbeiratterte und man immer den Fluss riechen konnte. Ich hatte zwei Polstersofas, ein paar italienische Stühle, ein riesiges Bett, sogar Bilder an den Wänden. Hauptsächlich Impressionisten.
    Ich parkte den Käfer am Straßenrand und

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