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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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mal gewusst, was er beruflich macht. Er war lange weg, monatelang manchmal. Und wenn er zurückkam, war er immer ein bisschen … ich weiß nicht recht … irgendwie anders. Ich kann nicht mal sagen, woran es gelegen hat, aber er war einfach anders. So als ob ihn das, was er unterdessen gemacht hat, irgendwie verändert hätte. Und deshalb hatte ich es ständig mit einem anderen Vater zu tun. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn gekannt hätte, nicht richtig jedenfalls.«
    Ein Betrunkener torkelte draußen vorbei und drückte das Gesicht ans Fenster. Der Schwarze, der in Livree hinter der Bar stand und die Austern aufbrach, scheuchte ihn weg.
    »Ich weiß noch, wie ich einmal, als ich neun war oder so, irgendwas Schlimmes angestellt hatte – ich glaube, ich hab ein paar Groschen aus dem Weckglas geklaut, das meine Mutter im Kleiderschrank verwahrt hat. Jedenfalls standen sie unter der Tür von unserem Kinderzimmer und dachten anscheinend, ich würde schlafen. ›Diesmal musst du ihn übers Knie legen, George‹, hat meine Mutter gesagt. Worauf mein Vater ganz ruhig erwidert hat: ›Ich will bei mir zu Hause keine Gewalt anwenden. Ich habe zu lange damit gelebt.‹ Die nächsten paar Mal ist er immer länger weggeblieben, und irgendwann ist er gar nicht mehr wiedergekommen. Nach einer Weile sind Mama und ich zu irgendwelchen Verwandten gezogen.«
    »Herrgott, Lew.«
    »Der hat damit gar nichts zu tun, wie Mae West gesagt hat.« Ich trank mein Bier aus und bestellte uns zwei neue. »Außerdem hab ich das alles frei erfunden. Der war weder Geheimagent noch irgendwie gefährlich. Bloß ein ganz normaler Mann.«
    Don schaute mich eine ganze Weile an. »Manchmal glaub ich, dass du wirklich so verrückt bist, wie alle behaupten.«
    »Bin ich auch. Manchmal jedenfalls.«
    Wir tranken unser Bier.
    »Ganz normal«, sagte Don. »Irgendwann bin ich das, glaub ich, auch mal gewesen.«
    »Tja, mein Guter, egal, was passiert, aber du bist wenigstens weiß.«
    »Ja, da ist was dran.« Dann setzte er das leere Glas ab. »Lust auf ein bisschen frische Luft?«
    Wir gingen die Decatur Street entlang bis zum French Market, stiegen dann über den Uferdamm. Ein kühler Wind wehte vom Fluss her. Nach Süden hin, an der Flussbiegung, dehnte sich der untere Teil der Stadt aus, flankiert von der Werft mit ihrer Fülle von Schiffen, Schleppern und Frachtkähnen. Die Fähre an der Canal Street legte gerade ab und fuhr schräg rüber nach Algiers.
    Diese Ausbuchtung da drüben, unmittelbar gegenüber dem ältesten Teil der Stadt gelegen und inzwischen der fünfte Bezirk von New Orleans, hat einstmals eine wichtige Rolle in der Geschichte der Stadt gespielt. Auf dieser Landzunge, die im Lauf der Zeit Point Antoine, dann Point Marigny und schließlich Slaughter House Point hieß, befanden sich in den letzten Tagen der französischen Herrschaft sowohl der Schlachthof als auch das Pulvermagazin der Kolonie – und ein Sammellager, in dem eine Ladung frisch aus Afrika eingetroffener Sklaven nach der anderen landete.
    Dr. King hatte einen Traum. Ich hatte wenigstens die Geschichte.

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    7
    Den übrigen Tag hing ich am Telefon und dachte nach. Vielleicht hätte ich im Belright bleiben und die Sitte rufen sollen. Die wollten Sanders drankriegen; vielleicht wäre vor Ort irgendwas rausgekommen – egal, was –, das uns zu Cordelia geführt hätte. Aber Sanders selbst schien mir, wie man drüben auf den Jefferson Downs sagte, das bessere Pferd zu sein.
    Dennoch rechnete ich eigentlich nicht damit, dass er zum Treffpunkt kam. Ich ging davon aus, dass ich noch zwei-, dreimal nachhaken musste, bis er überzeugt war, dass ich es ernst meinte. Und beim nächsten Mal würde er nicht mehr so leicht zu finden sein.
    Ich hatte teilweise recht.
    Gerade als ich das Büro verlassen und zum Jackson Square aufbrechen wollte, klingelte das Telefon.
    »Griffin? Sanders hier, Bud Sanders. Ich hab mich bei ein paar Leuten über Sie erkundigt, Mann.«
    Ich ließ es so stehen.
    »Die haben gesagt, dass Sie total verrückt sind. Jemand hat mir erzählt, dass Sie vor ein paar Jahren oben bei Baton Rouge einen Mann umgebracht haben, den Sie nicht mal gekannt haben.«
    »Das Mädchen, Sanders.«
    »Hören Sie, lassen Sie mir ein bisschen Zeit – einen Tag, ja? Ich tu, was ich kann.«
    »Morgen Mittag. Rufen Sie mich bis dahin an, oder vorher. Und noch was, Sanders.«
    »Ja?«
    »Tauchen Sie nicht unter.«
    »Untertauchen, verflucht noch mal. Ich

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