Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
Vom Netzwerk:
Männer ein Trinkgeld, daß sie sich genierten; es grenzte schon an Schweigegeld. Und Rolf blieb allein in seinem gelobten Haus, allein mit dem kleinen Hannes und einem italienischen Dienstmädchen,das nicht wußte, wo nun die Bettwäsche zu suchen wäre; die Dame fehlte außerordentlich. Nur der kleine Hannes war nicht ratlos, war selig in diesem Durcheinander, wo alles Gewohnte jählings zur Sensation wurde, und stellte tausend Fragen. Vorsicht! stand auf den Kisten: Nicht stürzen! und überhaupt sah es gar nicht nach einem Heim aus. Rolf wußte nicht, wie er hier wohnen sollte, fand es unsinnig, daß das Dienstmädchen anfing, Kisten aufzumachen, oder mindestens verfrüht; weniger denn je konnte man wissen, ob die Ehe, die das Öffnen der Kisten und das Ausrollen der Teppiche lohnte, überhaupt stattfinden würde. In der gleichen Minute hoffte er es und hoffte es nicht mehr. Was heißt Unabhängigkeit der Partner, Selbständigkeit, Freiheit in der Ehe; ganz praktisch, was heißt das? Eine Gütergemeinschaft mit allerlei Gerät und mit Dienstmädchen, um das Gerät sauberzuhalten, das war der Rest. Und Hannes? So ging es nicht. Sollte Rolf einfach von seiner Frau verlangen, daß sie verzichtete, und es mit Drohung verlangen, mit Entweder-Oder, mit Bedenkzeit bis Weihnachten? Es war eine Möglichkeit, um diesen unmöglichen Zustand abzuschließen, aber keine Möglichkeit, um ihre Liebe zu erhalten oder zu gewinnen. Sollte er einfach warten? So ein provisorisches Leben aufs Geratewohl, vielleicht kommt’s, vielleicht auch nicht, vielleicht gewöhnt man sich daran, vielleicht verliebt er sich auch, und da alles vorübergeht, wer weiß, vielleicht wäre die Scheidung verfrüht; so ein Leben in blinder Geduld, war das die Lösung? Er stolperte von Entschluß zu Entschluß, bald so, bald anders. Wie vielen Menschen hatte Rolf schon geraten, und in fremden Fällen war es stets, bei aller gebührender Vorsicht, sehr viel klarer, wohin die Anstrengung zu richten wäre. Kurz, Rolf sah sich auf jenem toten Punkt, wo man mit der größten Anstrengung nur sich zerreißen, aber das Rad weder vorwärts noch rückwärts drehen kann, wo es sich anderseits um eine Winzigkeit handeln wird, ob es vorwärts oder rückwärts geht, vielleicht sogar nur um einen Zufall, und das war ihm das Bitterste, der Gedanke, daß sich jetzt vielleicht alles durch ein einziges Wort, ein gutes oder ein dummes, wie von selbst entscheiden könnte... . In jener Woche kam nicht bloß die versprochene Karte von Sturzenegger aus Redwood-City, Kalifornia, sondern auch ein sehr absonderlicher Anruf aus Paris; ein offenbar erregter Herr, der sich als Stiller vorstellte, redete verworrenes Zeug und tat, als müßte Rolf wissen, wo seine Gattin sich befände, jemand, der keineswegs glauben wollte, daß Rolf nicht seinen Namen sehr wohl kennen würde. Zweifellos war das nervöse Wesen, was da aus dem Telefontönte, niemand anders als der Maskenball-Pierrot. (Es stimmt also nicht ganz, was mein Staatsanwalt zuvor behauptet hat; er wußte, wenn auch nicht durch Sibylle, den Namen ihres Freundes, bevor Stiller verschollen war. Ich erwähne das nur als Beispiel, daß selbst ein Staatsanwalt in seinen durchaus freiwilligen Berichten nicht ganz so widerspruchslos redet, wie sie es von unsereinem in den Verhören erwarten!) Ein sehr absonderlicher Anruf, in der Tat; denn Rolf hatte ja angenommen, Sibylle wäre mit ihrem Maskenball-Pierrot verreist. Hatten sich die beiden in Paris verfehlt? Er verwarf den Gedanken, daß man ihn mit diesem Anruf auf die listigste Weise irreführen wollte; aber der Gedanke, einmal in seinem Hirn, ließ ihn nicht los. Er konnte es Sibylle nicht zutrauen. Nein! sagte er laut vor sich hin: Nein! und ganz hinten aus seinem Hirn kam es wie ein verschlagenes Echo: Warum nicht? Er wehrte sich gegen diesen Verdacht, schämte sich, und im selben Atemzug, wie er sich seines gemeinen Verdachtes schämte, kam er sich um dieser Scham willen lächerlich vor, ein Narr. War jetzt nicht einfach alles möglich? Seine Vernunft wehrte sich dagegen. War es möglich, daß er Sibylle, die Mutter seines Sohnes und darüber hinaus der nächste Mensch, den Rolf sich nur denken konnte, eines Tages haßte? Er hatte Angst, sie wiederzusehen.
    Und jenes Wiedersehen war denn auch sehr unglücklich, scheint es. Eines Morgens im Büro, es war November, meldete man ihm, seine Gattin möchte ihn sprechen, nein, nicht am Telefon; sie säße im Vorzimmer. Nun hatte er

Weitere Kostenlose Bücher