Stiller
Atelier zu lassen, und nahm, ohne ein Wort zu sagen, seinen braunen Mantel vom Nagel, klopfte auf die Taschen, wie man es macht, um zu hören, ob man die Hausschlüssel hat; dann blickte er Sibylle nochmals an, auch von seiner Seite ungewiß, was sie sich eigentlich dachte, und löschte das Licht ...
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Der andere Tag war für Sibylle nicht leicht oder leicht auf eine bestürzende Weise. Irgendein ländlicher Gasthof in der Nacht, wo es keine Banderillas an den Wänden gab, dafür wahrscheinlich einen Bibelspruch oder sonst einen Spruch, mit Kreuzstich gestickt: ›Üb immer Treu und Redlichkeit!‹ oder ›Ehrlich währt am längsten!‹ oder was immer auf solcher Stickerei geschrieben stehen mag, kurzum: ein ländlicher Gasthof in der Nacht, wo es vielleicht nach gedörrten Birnen duftete und wo vor dem kleinen Fenster frühmorgens die Hähne krähten, und anderseits ihr vertrautes Heim mit dem kleinen Hannes, der an seinem Halsweh nicht gestorben war, beides waren zwei so herrliche Welten, verwirrend nur, daß man ohne jede Brücke von der einen in die andere gehen konnte. Gegen Mittag rief sie an, um zu wissen, ob es Stiller wirklich gab. Und dann, so kann man sich denken, hinunter und hinaus in den Garten! ... Es war Frühling, es gab sehr viel zu tun, zu graben, zu pflanzen, zu stechen und zu harken, und die Erde war trocken wie im Sommer. Sibylle schleppte den Rasensprenger heraus, stellte ihn in die kleine Wiese und ließ ihn in die knospenden Büsche rauschen. Eine Nachbarin hielt dieses Verfahren nicht für günstig, der Knospen wegen; also schleppte Sibylle den Rasensprenger eben anderswohin, wo sein Rauschen nichts schadete, aber Rauschen war unerläßlich,und die verehrte Nachbarin, die auch noch im Wetterbericht alles besser wußte, konnte sich auf den Kopf stellen, wenn sie es nicht verstand. Überhaupt diese unerhörte Einmischerei! Der kleine Hannes hatte ihr gestriges Versprechen, Bambus und blaues Seidenpapier zu kaufen und ihm einen Drachen zu machen, nicht vergessen, ihr Versäumnis tat ihr leid, sie gelobte ihm, morgen in die Stadt zu fahren, und versprach ihm als Dreingabe, mit ihm in den Zirkus zu gehen, wenn der Zirkus dann kommt, und heute durfte er mit Sibylle auf den Flugplatz fahren, um Vati abzuholen. Überhaupt hatte Sibylle jetzt einen Drang, alle Menschen glücklich zu sehen, auch Carola, das italienische Dienstmädchen, das heute ohne weiteres ausgehen konnte, nun ja, die Herrschaften würden eben in der Stadt essen. So etwas von einem Frühlingstag! Das hinwiederum fand auch die Nachbarin. Die gelben Forsythien leuchteten nur so, die Magnolie fing auch schon an, und der Rasensprenger zauberte noch einen kleinen Privat-Regenbogen dazu. Und dann, nach vier Stunden wackerer Gartenarbeit, duschte Sibylle sich nochmals, bevor sie sich zum zweitenmal umkleidete. Im Flughafen waren sie viel zu früh. Hannes bekam einen Eisbecher zu seinem vergehenden Halsweh, aber die Jacke durfte er unter keinen Umständen ausziehen, damit das dumme Halsweh nicht wiederkäme. Und Flugzeuge gab es da! Man hätte gerade nach Athen fliegen können, nach Paris, sogar nach Neuyork. Für Sibylle stand es außer Zweifel, daß Rolf es ihr auf den ersten Blick ansehen würde. Auch war er ja der Nächste, der Einzige, dem sie es anvertrauen konnte, wollte. Das Flugzeug hatte vierzig Minuten Verspätung, Zeit genug für Sibylle, um in Gedanken alles zu sagen, was dann in Wirklichkeit nie gesagt worden ist. Denn im Augenblick, als die hallenden Lautsprecher die soeben erfolgte Landung des Kursflugzeuges aus London meldeten und als auch bereits eine Herde fremder Leute aus der verstummten Maschine stieg, von einer Stewardeß gesammelt und zum Zoll geführt, alles, wie wenn nichts geschehen wäre, und als Sibylle, ihren kleinen Hannes an der Hand, von der Terrasse heruntersah, wie Rolf sich umblickte und dann, endlich seine Familie erkennend, mit einer Zeitung winkte, in diesem Augenblick wurde es in Sibylle plötzlich sehr stumm, ja, sie winkte nicht einmal. Sie wußte das gar nicht, aber Rolf behauptete später, sie hätte nicht einmal gewinkt, nicht einmal genickt. Plötzlich das Gefühl: Was geht es ihn an! Und als es am Zoll sehr lange ging, kam sogar eine kleine Verärgerung über Rolfs ganz selbstverständliche Erwartung, daß man ihn nach jeder Reise abholte. Irgendwie brauchteSibylle jetzt diesen Panzer von Verärgerung. Ein Winken mit der Zeitung, ja, aber keine Spur von strahlender Überraschung;
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