Stiller
zu vertrösten; tatsächlich hat dieser Mann sich die denkbar größte Mühe gegeben und hätte heute eine herzhafte Gratulation von meiner Seite jedenfalls verdient; ich hatte denn auch vor, eine Art von Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, vergaß es dann leider. Herr Direktor Schmitz, der Millionär, ist ebenfalls zur Verhandlung erschienen, er hat mit dem heutigen Datum bereits seine Ehrverletzungsklage eingereicht. In der Smyrnow-Geschichte werde ich die Bundespolizei, die mich jetzt übernimmt, sehr bald enttäuschen; sofern der gute Theo Hofer, mein ehemaliger Spanien-Kamerad, ein Tscheche, der später in der Bronx, Neuyork, als Coiffeur arbeitete und mich damals nach der Ankunft beherbergthat, noch am Leben ist, dürfte mein Alibi für den fraglichen 18. 1. 1946 in wenigen Tagen zu erbringen sein. Eben höre ich Julika durch den Korridor kommen –
Mein Engel halte mich wach.
PS.
Wilfried Stiller, mein Bruder, habe sich bereit erklärt, den Betrag von Franken 9361.05 zu übernehmen. Ich danke ihm!
Zweiter Teil
Nachwort des Staatsanwaltes
Wir haben es bedauert, daß Stiller den vorliegenden »Aufzeichnungen im Gefängnis« – sie sind hier, mit Genehmigung der Beteiligten, die heute noch leben, ohne jede Kürzung und selbstverständlich unverändert wiedergegeben – keine »Aufzeichnungen in der Freiheit« hat folgen lassen. Unser gelegentliches Drängen in dieser Richtung hat Stiller nicht einen Tag lang beirrt. Er hatte keinerlei Bedürfnis dazu. In der Folge haben wir übrigens unser Drängen selber als Irrtum begriffen. Sein Verstummen, wenn man es einmal so nennen will, war ja in der Tat ein wesentlicher, vielleicht sogar der entscheidende Schritt zu seiner inneren Befreiung, die wir nicht allein an unserem Freund zu erkennen vermochten, sondern deutlicher noch an seinen Nächsten, an einer kaum merklichen und eigentlich langsamen, jedoch wirklichen Verwandlung unseres Verhältnisses zu ihm. Es wurde möglich, sein Freund zu sein; Stiller war frei geworden von der Sucht, überzeugen zu wollen.
Es erübrigt sich, hier nochmals auf jene sogenannte Smyrnow-Affäre näher einzugehen. Sein Alibi für das fragliche Datum war einwandfrei; tatsächlich war Stiller lange vor dem 18. 1. 1946 in Neuyork angekommen, wo er die ersten Wochen, wie sich belegen ließ, bei seinem tschechischen Bekannten gewohnt hatte. Den Beweis hierfür konnte Stiller allerdings erst erbringen, nachdem er endlich darauf verzichtet hatte, seine Identität zu bestreiten. Sein Gleichmut gegenüber dem erwähnten Verdacht schien mir von allem Anfang an echt zu sein, echter als die meisten anderen Äußerungen in der Untersuchungshaft. Anderseits war es für die Behörden, ohne persönliche Kenntnis dieses Mannes, nicht einzusehen, warum Stiller so hartnäckig seine offenkundige Identität zu bestreiten suchte, und es drängte sich auf, alle denkbaren Zusammenhänge mit bisher unaufgeklärten Delikten mindestens zu prüfen, ja, es war die Pflicht der verantwortlichen Behörden, dies zu tun. Unter diesen unaufgeklärten Delikten, die ins Auge gefaßt werden mußten, befanden sich auch zwei zürcherische Mordfälle;hiervon wußte Stiller indessen nichts. In sämtlichen Fällen kam man bald zu einem eindeutig negativen Ergebnis, und die Freilassung erfolgte noch im gleichen Monat.
Stiller lebte vorerst in einer kleinen Pension am Genfer See, begleitet von seiner Frau, die entschlossen war, wieder mit ihm zusammen zu leben. Wie sich dieses Zusammenleben gestalten sollte, konnten sich wahrscheinlich beide nicht ohne weiteres vorstellen. Meinerseits war ich mehr als gespannt. Unser kleines, primitives, doch heizbares Ferienhaus auf der Forch hatte er lieber nicht beziehen wollen, »weil doch verdammt nahe bei Zürich«. Zum Glück hatte die Vaterstadt ihm als Aufmunterungsgabe, wenn auch nach zähen Widerständen innerhalb der Kommission, zweitausend Franken zukommen lassen; das bedeutete damals für ein Ehepaar immerhin Lebensunterhalt für zwei oder fast drei Monate. Davon und im übrigen von der Hoffnung auf weitere Wunder lebten sie also am Genfer See. Wir konnten uns freilich Stiller in diesem Territet nicht vorstellen. Unseres Erinnerns bestand dieses Territet aus lauter Hotels, Tennisplätzen, Seilbähnchen und Chalets mit Türmchen und Gartenzwergen; doch freundschaftliche Beziehungen hatten ihnen dort ein freundschaftliches Arrangement verschaffen können. Ihr vollkommenes Schweigen auch über Weihnachten begann uns zu
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